Über 600 Millionen Euro Schadenersatz und Weiterbau des Gleiswechselbauwerks

Unmittelbar, nachdem der Kölner Rat dem Vorschlag von Oberbürgermeisterin Henriette Reker und der Verwaltungsspitze gestern zugestimmt hat, zur Beendigung der Rechtsverfahren im Zusammenhang mit dem Einsturz des Historischen Archives im März 2009 einen Vergleich mit der „ARGE Los-Süd“ abzuschließen, hat Oberbürgermeisterin Reker für die Stadt Köln die Vergleichsvereinbarung unterschrieben.  

Mit diesem außergerichtlichen Vergleich sind die wechselseitigen Ansprüche zwischen der ARGE Los-Süd, der Stadt Köln und der KVB AG erledigt. Der Vergleich übernimmt die Refinanzierung des Neubaus des Historischen Archives und sichert die Finanzierung für die Restaurierung der geborgenen Archivalien. 95 Prozent der damals mit dem Gebäude verschütteten Archivalien konnten inzwischen geborgen werden. Der Neubau des Archives wird im nächsten Jahr als modernstes kommunales Archiv Europas mit dem Umzug von Büros und Archivalien zunächst betriebsintern die Arbeit aufnehmen.  

Die ARGE Los-Süd verpflichtet sich in dem Vergleich zum Ausgleich der finanziellen Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Einsturz des Stadtarchives zur Zahlung eines Betrages von 600 Millionen Euro an die Stadt Köln. Außerdem wird sie auf eigene Kosten und eigene Verantwortung die havarierte Baustelle des Gleiswechselbauwerkes im erweiterten Rohbau sanieren und das damals vereinbarte „Bausoll“ des Bauvertrages fertigstellen. In diesem Zusammenhang übernimmt die ARGE Los-Süd auch die Errichtung eines Sonderraumes „K³“ im Gleiswechselbauwerk auf eigene Kosten.  

Vor der Perspektive eines zeitlich nicht absehbaren, zumindest aber mehrjährigen Klagefahrens sowohl hinsichtlich des Schadensgrundes als auch der Schadenshöhe hatten sich die Stadt Köln und die Vertreter der ARGE Los-Süd im November 2019 darauf verständigt, in einem moderierten Verfahren eine außergerichtliche Einigung zur Regulierung der finanziellen Einbußen anzustreben.  

Der Einsturz des Historischen Archives am 3. März 2009 steht im Zusammenhang mit der Errichtung des unterirdischen Gleiswechselbauwerks, durch dessen Einsturz nicht nur das Historische Archiv, sondern auch benachbarte Wohngebäude in die Tiefe gerissen wurden. Der Einsturz und die Folgen für Anwohner, das Archiv, Schulen und das gesamte Quartier stellen bis heute einen tiefen Einschnitt in der Geschichte der Stadt Köln dar und hinterlassen eine bis heute nicht geschlossene Wunde in der Kölner Stadtgesellschaft. Der Einsturz forderte das Leben von zwei Kölner Bürgern, die nicht mehr rechtzeitig gewarnt und evakuiert werden konnten und in dem Trümmerfeld zu Tode kamen. Es entstand außerdem ein zunächst unabsehbarer tatsächlicher und finanzieller Schaden an Gebäuden, Archivgut und der im Bau befindlichen Trasse der Nord-Süd Stadtbahn. Unmittelbar nach dem Einsturz und den akuten Rettungsmaßnahmen an der Einsturzstelle standen insbesondere die Versorgung der betroffenen Menschen sowie die Bergung der verschütteten Archivalien im Mittelpunkt der Bemühungen der Stadt Köln. Es folgte der Beginn einer hochkomplexen juristischen Aufarbeitung des Schadensereignisses.  

Oberbürgermeisterin Henriette Reker betont, „dass mit diesem Vergleich ein zügiger Neustart am Waidmarkt möglich gemacht werden kann und gleichzeitig die Restaurierung der Archivalien für die nächsten Jahrzehnte gesichert ist“. Köln sei nach der Katastrophe nicht „in Schockstarre verharrt“, sondern habe auch damals mit Hilfe von vielen engagierten Bürgern sofort gehandelt und so die Folgen des Einsturzes abmildern können. Reker weiter: „Ich befürworte den Vergleich, weil wir sonst auf unabsehbare Zeit den Wiederaufbau unterirdisch und auch oberirdisch verschoben hätten und juristische Verfahren die Weiterentwicklung behindern. Damit können wir neben dem Weiterbau der Nord-Süd-Stadtbahn sowohl die Generationenaufgabe der Restaurierung der Archivalien finanziell absichern als auch die bisher allein von der Stadt Köln getragenen Kosten des Neubaus für das Historische Archiv in diesen schwierigen Finanzzeiten refinanzieren. Der Einsturz hat die Stadt verändert. Das wird bleiben. Aber wir konzentrieren uns jetzt auf die konkrete Gestaltung der Zukunft und schließen am Waidmarkt eine klaffende Wunde im Stadtbild.“  

Der nun vom Rat der Stadt Köln gebilligte Vergleich ist Ergebnis eines sechsmonatigen Moderationsverfahrens zwischen den Parteien, moderiert von renommierten Experten im Bereich von Großschäden bei Bauvorhaben und Mediationsverfahren. Der am Ende dieses Verfahrens erarbeitete Vergleichsvorschlag verfolgt das Ziel, unter Berücksichtigung der tatsächlichen und rechtlichen Risiken eines gerichtlichen Verfahrens die durch die Havarie entstandenen finanziellen Schäden auszugleichen, einen zügigen Weiterbau der Nord-Süd Stadtbahn zu ermöglichen. Stadtdirektor Stephan Keller: „Mit diesem Vergleich ist nach Auffassung der Stadt die Einsturzursache nunmehr geklärt, und er bestätigt das Gutachten des im Auftrag des Landgerichts Köln tätigen Sachverständigen. Die der Stadt Köln entstandenen Schäden werden zu einem wesentlichen Teil ersetzt, außerdem kann so ein langjähriges und aufwändiges Klageverfahren durch vermutlich alle Instanzen vermieden werden.  

Die Baustelle am Waidmarkt und damit die Nord-Süd Stadtbahn als Ganzes haben nun eine realistische Perspektive der Fertigstellung und Inbetriebnahme. Dies ist eine gute Nachricht für das seit elf  Jahren betroffene Stadtquartier und die ganze Stadt.“      

Durch die Zusage der ARGE , das Gleiswechselbauwerk entsprechend des vertraglichen Bau-Solls im erweiterten Rohbau auf eigene Kosten und in eigener Verantwortung zu sanieren und fertig zu stellen, hat die Fertigstellung und Inbetriebnahme der Nord-Süd-Stadtbahn nun eine zeitlich realistische Perspektive. Auch die bauliche Wunde am Waidmarkt kann geschlossen werden. Über die Gestaltung eines oberirdischen Gedenkortes wird die Stadt Köln im Zusammenhang mit den Planungen für das Gelände unter maßgeblicher Beteiligung der Bürger später entscheiden.  

Vor dem Hintergrund der bestehenden Risiken und unter Würdigung aller zeitlichen Szenarien betrachtet die Stadt Köln die Vergleichssumme von 600 Millionen Euro als ein gutes Ergebnis.  

Vorgeschaltet vor dem eigentlichen gerichtlichen Verfahren wurden seit 2010 die Rechtsansprüche der Stadt Köln dem Grunde und der Höhe nach in zwei gerichtlichen Beweisverfahren verfolgt. Für die hochkomplexe Beweissicherung zur Ursachenforschung haben die Stadt Köln und die Kölner Verkehrs-Betriebe in aufwändigen technischen Verfahren nach einem unterirdischen Bergungsbauwerk auch ein unterirdisches Besichtigungsbauwerk entlang der äußeren Schlitzwand errichtet. In dem Verfahren zur Ermittlung der Schadensursache hat der vom Landgericht Köln beauftragte Sachverständige Prof. Dr. Kempfert nach achtjährigen Untersuchungen ab 2018 diverse Teilgutachten vorgelegt. Er kommt zu dem Schluss, dass die Fehlstelle in einer von der ARGE Los-Süd hergestellten Schlitzwand unzweifelhaft die alleinige Einsturzursache vom 3. März 2009 war. Die ARGE geht von einem alternativen Schadenshergang aus.

Der vom Landgericht Köln beauftragte Gutachter ProfDr. Weber hat auf der Grundlage von repräsentativen Stichproben im Wege einer mathematischen Hochrechnung eine Schätzung der voraussichtlichen Restaurierungskosten der Archivalien vorgenommen. Bei einer angenommenen Restaurierungszeit von mehreren Dutzend Jahren kommt er zu einem möglichen Schadenskorridor von 517 bis 660 Millionen Euro.  

Der Rat hatte bereits am 4. April 2019 die Fortsetzung der Sanierungsplanung  beschlossen. Aufbauend auf diesen Beschluss haben KVB AG und Verwaltung entsprechend der Sanierungsvereinbarung zwei Sanierungsvarianten ausgewählt, welche in einer zweiten Planungsstufe fortgeführt und von Seiten der ARGE bis zur Vorbereitung der Vergabe geplant werden sollten. Für beide Varianten hat die ARGE zum Jahresende 2019 genehmigungsfähige Entwurfsplanungen mit Beendigung der Leistungsphase 3 nach HOAI vorgelegt. Der Genehmigungsprozess der letztendlich bei der Bezirksregierung Köln eingereichten Sanierungsvariante (Unterwasserbetonsohle) läuft derzeit, die Genehmigung wird für das dritte Quartal 2020 erwartet. Nach der Sanierung und Fertigstellung des Gleiswechselbauwerks werden die dann noch notwendigen Arbeiten, um die Nord-Süd Stadtbahn für den durchgängigen Betrieb herzustellen (Installation der Betriebstechnik wie Gleise, Unterwerk u.ä.), nach bereits vorhandenen Planungen erfolgen.  

Der Vergleich eröffnet die Möglichkeit, das nach wie vor beschädigte Quartier am Waidmarkt nach elfjährigem Leben an und mit einer Unglücksstelle nunmehr eine in die Zukunft gerichtete Perspektive zu entwickeln.  

Stadt Köln - Amt für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit