Die Stipendiatinnen Alia Hamdan und Therese Schuleit stellen an zwei Orten aus

Während des Residenzprogramms "Kunst und Dokument" haben die Künstlerinnen Alia Hamdan aus Beirut und Therese Schuleit aus Köln von April bis Juni 2015 in den jeweils anderen Städten an ihren künstlerischen Projekten gearbeitet. Die Ergebnisse dieses Austausches stellen das NS-Dokumentationszentrum und der "Matjö-Raum für Kunst" vom 8. April bis 5. Mai 2016 aus.

Das Residenzprogramm ermöglicht den Künstlerinnen und Künstlern, sich mit der Vergangenheit und Aktualität der jeweiligen Stadt durch (Kunst-)Dokumente und persönliche Erfahrungen vertraut zu machen. Sie widmen sich in ihren künstlerischen Arbeiten folglich auch immer sozialen und geschichtlichen Aspekten der jeweiligen lokalen Lebenswelten. Alia Hamdans Ausgangspunkt war das Archiv und die Bibliothek des NS-Dokumentationszentrums hier in Köln, der von Therese Schuleit das UMAM Documentation & Research in Beirut.

Therese Schuleit hat für ihre Arbeit "untaped" vier "Fundstücke", wie sie es beschreibt, aus Beirut nach Köln gebracht: Ein 120 Zentimeter langes, sonnenverbranntes Kassettentape, das um einen Ast gewickelt war. Ein Radio, das jahrelang an der Tür eines Balkons hing. Ein ungeöffnetes Ampex Soundtape der Baalbeck Studios, das Ende der 70er Jahre bestellt wurde. Und ein Element, das an den Straßenrändern im Zentrum von Beirut steht. Es sichert den Abstand zwischen den Außenmauern der Bankhäuser und Ministerien und der Straße. Die ersten drei Objekte werde ich zurück nach Beirut bringen, sie gehören mir nicht. Das letzte, dessen Bezeichnung ich nicht kenne, werde ich hier in Köln lassen. Es stammt, anders als die anderen, aus der Gegenwart Beiruts.

Therese Schuleits Fundstücke zeichnen ihre Recherche entlang architektonischer Leerstellen der libanesischen Gegenwart und obsolet gewordener Aufnahme- und Archivmaterialien nach. Die Leerstellen, die durch fehlende Informationen im Archivmaterial, Übersetzungsfehler und Kommunikationsprobleme entstehen, werfen Fragen nach der ursprünglich vorgesehenen Erzählung auf. Es sind Fundstücke eines Krieges, deren Inhalte verborgen bleiben oder deren geplante Aufzeichnungen der Krieg verhindert hat. Es sind Erzählungen eines Krieges, der immer noch nachhallt.

Therese Schuleit hat audiovisuelle Medien, vergleichende Literaturwissenschaften und Illustration in Köln, Florenz und Mainz studiert. 2008 schloss sie ihr Studium an der Kunsthochschule für Medien Köln mit Diplom ab. Seitdem arbeitet sie an den Schnittstellen Sound und Raum. Ihre Werke hinterfragen Wahrnehmungsprozesse, semantische Strukturen, die Verwendung von Materialien sowie die Beschaffenheit und Nutzung von Orten in Mixed Media-Installationen, Interventionen und Dialogen.

Die Künstlerin Alia Hamdan aus Beirut formulierte während ihres Köln-Aufenthalts als "Kunst und Dokument"-Stipendiatin bereits den Einstieg in ihren geplanten Film: "I disappeared early this morning in Cologne" (Ich bin heute früh in Köln verschwunden). Entstanden ist eine filmische Investigation, die Archivmaterialien aus Beirut und Köln mit einer persönlichen Erzählung verflechtet.

Beim Betrachten des Films mit dem Titel "A False Disappearance" wird die Recherche von Alia Hamdan, die sie in beiden Archiven durchgeführt hat, nach und nach offengelegt. Diese setzte sich mit dem Thema ‚abweichenden Verhaltens‘ oder ‚Abweichlertums’ während des Nazi-Regimes und der Libanesischen Bürgerkriege auseinander.

Zugleich deckt sie ihr eigenes abweichendes Verhalten in Bezug auf die Archive auf oder inszeniert es bewusst, indem sie sich im Film an Fragen festhält, wie: Ob man das Kölner Archiv vielleicht durch einen Park betreten könne oder das Beiruter Archiv von einem Flugzeug aus? Durch die Fokussierung auf einen Park in Köln und den Flughafen von Beirut thematisiert und ergründet Alia Handan systematisches Ab- oder Ausweichen, zugleich legt sie aber auch die historischen Unterschiede von ‚Abweichlertum’ in den Städten Beirut und Köln dar.

Mit ihrem ‚choreografierten’ Film ist es Alia Hamdan gelungen, anhand eines Themas eine ungewöhnliche Verbindung zwischen den Archiven und der Geschichte der beiden Städte Köln und Beirut herzustellen.

Alia Hamdan wurde 1979 in Beirut geboren. Von 1999 bis 2005 absolvierte sie eine tänzerische Ausbildung an der Musikhochschule und am Centre Chorégraphique National in Montpellier. 2003 erhielt sie das Stipendium "Danceweb" (ImPulsTanz Festival, Wien). Neben ihrer künstlerischen Tätigkeit hat Alia Hamdan jeweils einen Master in den Fächern Philosophie (Université Paris-Sorbonne) und Urban Studies (Université Paris-Nanterre) erworben. Sie lehrt an der ALBA Universität in Beirut und am Beirut Art Center – BAC.

Die städtischen Kulturämter in Köln und Beirut, die RheinEnergieStiftung Kultur, das UMAM Documentation & Research, der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) Köln und das NS-Dokumentationszentrum ermöglichen das Stipendium. Die Schirmherrschaft hat die Deutsche Botschaft in Beirut übernommen. Konzeption und Leitung lagen von 2012 bis Anfang 2016 in den Händen von Stanislaw Strasburger. Seit Anfang 2016 führen Petra Gieler und Doris Frohnapfel das Projekt vom Kulturwerk des BBK Köln weiter. Die nächste Ausschreibung (Open Call) ist für Mitte 2016 geplant.

Die Unterzeichnung eines offiziellen Kulturkooperationsabkommens beider Städte im April 2015 hat das seit 2012 laufende Residenzprogramm für Künstler und Schriftsteller "Kunst und Dokument. Köln-Beirut" und die erfolgreiche Zusammenarbeit der freien Akteure und institutionellen Strukturen bekräftigt.

Stadt Köln - Amt für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit