Oberbürgermeisterin Henriette Reker
Liebe Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt,
vor nunmehr fast zwei Jahren habe ich das Amt als Kölner Oberbürgermeisterin angetreten. Ein Amt, das in einer Millionenstadt eine Vielzahl von Herausforderungen mit sich bringt. Der Zustrom von Migrantinnen und Migranten und die damit verbundene Notwendigkeit einer nachhaltigen Integration verlangen besondere Anstrengungen. Die wachsende Bedrohung durch religiös oder politisch motivierten Terror stellt uns vor ganz neue Probleme. Eine zukunftsorientierte Stadtentwicklung sowie aktiver Klimaschutz sind ebenso unverzichtbar wie die Förderung unserer Wirtschaftskraft.
Nur so können wir Köln als die lebenswerte, offene uns soziale Stadt bewahren. Damit gilt es ein breit gefächertes Bündel an Aufgaben zu bewältigen. Das bedarf großer Kraftanstrengungen von uns allen als Stadtgesellschaft - das bietet uns aber auch viele neue Chancen.
Als mein Amtsvorgänger Konrad Adenauer am 18. Oktober 1917 in das Amt des Oberbürgermeisters eingeführt wurde, stand er im letzten Jahr des Ersten Weltkrieges vor nicht minder großen und schweren Aufgaben.
In seiner Rede wendete sich der damalige Regierungspräsident Karl von Stark in der Sondersitzung der Stadtverordneten-Versammlung zur Amtseinführung mit den Worten an Konrad Adenauer:
Die Zeit, Herr Bürgermeister, in der Sie Ihr Amt antreten, ist ernst, schwer und gewaltig. Wir stehen in dem furchtbarsten Kriege, den die Welt je gesehen hat, und der hoffentlich auch der furchtbarste bleiben wird.
Sich dieser ganz besonderen Verantwortung bewusst, führte Konrad Adenauer in seiner darauffolgenden Antrittsrede aus:
Meine verehrten Herren!
Der Kriegssturm rast durch die Welt und die von ihm aufgejagten schweren Wolken verwehren uns noch mehr als sonst den Blick in die Zukunft. Doch treten von ihren Aufgaben drei schon jetzt als besonders wichtig in ihren Umrissen hervor: Gesunde Finanzen müssen die Grundlage aller staatlichen und kommunalen Betätigung sein. (...) Auf wirtschaftlichem Gebiete hat der Krieg tiefgehende Verheerungen angerichtet. (...) Hier werden wir mit starker Hand und - tut es not - mit großen Mitteln eingreifen, bedrohten Existenzen helfen, zerstörte wieder aufrichten müssen. Über das Gebiet der Einzelwirtschaft hinaus wird sich unser Blick auf die gesamte wirtschaftliche Stellung Kölns zu lenken haben. Welche Umwälzung der Krieg in der wirtschaftlichen Struktur Deutschlands, dessen Wirtschaftsleben so eng mit dem Auslande verbunden war, bringen wird, steht noch dahin. Eifrig darauf zu achten, daß Köln seine stolze Stellung im deutschen und internationalen Wirtschaftsleben wieder erhält und weiter ausbaut, wird unsere ernste Sorge sein. Sozial bluten wir aus vielen Wunden. Aber der Krieg hat uns auch unsere Augen für unsere sozialen Pflichten geöffnet. Er hat uns überzeugt, dass wir alle Glieder eines Körpers sind, dass das Wohl und Wehe eines Standes letzten Endes auch das des anderen. (…) Unsere ganze Arbeit mit sozialem Geiste und Verständnis zu erfüllen und zu durchdringen, wird meine vornehmste Pflicht sein.
Mit großer Tatkraft und viel Herzblut für seine Heimatstadt ist ihm das in beeindruckender Weise gelungen. Sein visionäres Denken und sein Mut im Handeln haben in ganz unterschiedlichen Bereichen den Grundstein gelegt für die rasche Entwicklung Kölns in den vergangenen 100 Jahren.
Oberbürgermeister Theo Burauen fasste in seiner Trauerrede am 26. April 1967 im Großen Saal des Kölner Gürzenichs zusammen:
Seine kommunalpolitischen Leistungen rangieren unter vielen Titeln. Sie sind so bekannt, selbst schon unseren Kindern in der Schule, dass ich mich mit folgender Feststellung begnügen kann, und es ist unendlich viel: Es ist die Universität und es ist die Messe, es sind der Niehler Hafen und die Fordwerke, der Grüngürtel und das Stadion, das weite Gemeindegebiet und die Rheinbrücken… und es ist Köln, eine Großstadt! Sie wurde es nicht wie selbstverständlich. Konrad Adenauer hat ihr diesen Weg geöffnet.
Überträgt man Konrad Adenauers Anspruch an die Amtsführung als Kölner Stadtoberhaupt auf die Herausforderungen unserer Zeit, sind viele Parallelen erkennbar: Auch wir sind zur Erfüllung unserer kommunalen Pflichtaufgaben sowie für die Vielzahl an freiwilligen Leistungen auf eine solide und gesicherte Haushaltslage angewiesen. Auch wir brauchen eine starke Wirtschaftskraft, um unabhängig von den Zuweisungen durch den Bund und das Land Nordrhein-Westfalen Einnahmen zu generieren. Dafür sind, wie schon mein großer Amtsvorgänger erkannt hat, auch internationale Beziehungen unverzichtbar. Stehen wir doch nicht nur national, sondern durch die wachsende Globalisierung seit Beginn des neuen Jahrtausends auch international im Wettbewerb mit anderen Städten. Und auch wir müssen für ein harmonisches und friedliches gesellschaftliches Miteinander unserer sozialen Verantwortung gerecht werden.
In meiner Amtszeit als Kölner Oberbürgermeisterin möchte ich mich auch an Konrad Adenauers Wirken orientieren. Dabei ist nicht nur das Engagement meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung unerlässlich. Um unsere Stadt zu schützen und voranzubringen, bin ich auch auf die Unterstützung unserer gesamten Stadtgesellschaft angewiesen. Ich bin sicher, dass jeder von uns im Geiste Konrad Adenauers seinen Beitrag dazu leisten kann. Ein Geist, der das Gemeinwohl genauso hoch bewertet hat, wie die Solidarität in der Gemeinschaft.
Mit der Themenwoche "Konrad Adenauer und die Stadt der Zukunft", gemeinsam ausgerichtet mit der Konrad-Adenauer-Stiftung, würdigen wir einen für uns ganz besonders bedeutsamen Teil seiner großen Lebensleistung und wenden unseren Blick, wie es ihm eigen war, auf die Zukunft. Mit Dankbarkeit erinnern wir uns an eine der herausragendsten Persönlichkeiten unserer Stadt.
Konrad Adenauer
Mein Großvater Konrad Adenauer wurde am 5. November 1876 in kleinbürgerlichen Verhältnissen in der Kölner Balduinstraße geboren. Sein Vater war Justiz-Sekretär und hatte mit seiner Ehefrau vier Kinder großzuziehen. Die Wohnverhältnisse dort waren beengt, und es musste sparsam gewirtschaftet werden. Sein Vater war vor 1871 Berufssoldat gewesen und ein großer Bismarck-Verehrer, einerseits sehr streng und strebsam, andererseits aber auch fromm. Er verlangte von seinen Kindern, dass sie ihre Hausaufgaben erledigten, auch wenn neben ihnen Kanonen abgeschossen würden.
So wurde auch mein Großvater zu Pflichtbewusstsein, Fleiß, Ehrlichkeit, Gehorsam und Frömmigkeit erzogen. Nur mit Hilfe von Stipendien der Stadt Köln konnten die drei Söhne studieren und legten in der Mindestzeit ihre Examina ab. Damit wurde der Grundstein für den sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg der gesamten Familie gelegt.
Mein Großvater war als Schüler und Student zu manchen Streichen aufgelegt, von denen er später gerne erzählte. Er besaß in sich sehr viel Willenskraft und Ehrgeiz sowie Beharrlichkeit in der Verfolgung seiner Ziele. Er wusste sich durchzusetzen.
Da sein zweites juristisches Staatsexamen nur "ausreichend" ausfiel, konnte er bis zu seinem 30. Lebensjahr keine dauerhafte Anstellung finden, er musste sich mit juristischer Hilfsarbeit begnügen. Demgegenüber war sein Bruder August schon ein erfolgreicher Rechtsanwalt und sein Bruder Hans als Geistlicher in kirchlichen Diensten. Aber von der Stunde seines Eintritts als Beigeordneter in die Dienste der Stadt Köln an, wirkte sich sein aufgestauter Leistungswille aus, so dass er schon nach drei Jahren, also mit 33 Jahren, Erster Beigeordneter und mit 41 Jahren, also 1917, Oberbürgermeister der Stadt Köln wurde. Seit dem gelang ihm ein Erfolg nach dem anderen. Viele Ehrenämter und Aufsichtsratsmandate wurden ihm angetragen. Er hätte mehrfach Reichskanzler werden können.
Andererseits hatte er manches Leid und Unglück zu bestehen. 1916 starb seine erste Ehefrau im Alter von 36 Jahren, die Kinder waren erst zehn, sechs und vier Jahre alt. Das erste Kind aus der zweiten Ehe starb 1920 bereits nach vier Tagen. 1933 stürzten die Nazis ihn über Nacht von seiner stolzen Höhe in einen nicht geahnten Abgrund. 1934 wurde er in Potsdam für einige Tage verhaftet, zehn Jahre später kam er für Monate in Haft. Seine zweite Ehefrau wurde auch verhaftet und versuchte, sich in der Haft das Leben zu nehmen. 1948 starb sie, 52-jährig, an einer Art Blutkrebs.
Seine erste Frau erlebte nicht seine OB-Zeit, seine zweite Frau nicht seine Bundeskanzler-Zeit. Diese Erlebnisse haben ihn sicherlich hart und misstrauisch gemacht. Dabei wollte er immer nur dem Gemeinwohl dienen. Das Auf und Ab seines Lebens machte ihn zu einem sehr erfahrenen Menschen, dem keine menschlichen Regungen fremd waren, der aber die Dummheit der Menschen als ihre schlechteste Eigenschaft erkannt hatte.
Mein Großvater besaß allzeit ein festes Wertesystem, einschließlich seines christlichen Glaubens. Dadurch war er in der Lage, der erste und langjährige CDU-Vorsitzende zu werden. Das deutsche Volk vertraute und glaubte ihm. Er lebte das, was er predigte. Er stand immer auf der Seite der Freiheit. Diese war ihm wichtiger als der Frieden und dieser wichtiger als die Einheit. Er trat für die Familie und für privates Eigentum, für eine gesunde Umwelt, viel öffentliches und privates Grün sowie den Breitensport ein.
Früher gab es im Hamburger Hafen zwei Schleppschiffe für die Ozeanriesen. Sie hießen "Energie" und "Ausdauer", zwei Eigenschaften, die Adenauer treffend charakterisieren. Er war aber auch ein Mann der Sorge und der Vor(aus)sicht.
Es waren seine frühen und späteren Erfahrungen, die seine Charaktereigenschaften herausgebildet, sein Wertesystem geprägt haben. Zusammen mit seinen Tugenden hatte er das Rüstzeug für eine erfolgreiche Amtszeit als Kölner Oberbürgermeister und später als Kanzler der noch jungen Bundesrepublik Deutschland.
Nach seinem Tod am 19. April 1967 in Rhöndorf im Alter von 91 Jahren wurde er mit einem Staatsbegräbnis und einer Anteilnahme der Bevölkerung geehrt, wie es sie in Deutschland nach ihm und lange vor ihm keine gegeben hat.
Dr. Hans-Gert Pöttering
Man kann (…) nicht in der Zukunft gut wirken, wenn man nicht aus der Vergangenheit lernt (…).
Ein Satz Konrad Adenauers von 1952, der heute unverändert aktuell ist - als Anspruch und Mahnung zugleich.
Für die Konrad-Adenauer-Stiftung sind derlei Grundsätze unseres Namensgebers Leitlinien, Auftrag und Verpflichtung bei unserem Einsatz für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit. Zu den wichtigsten Aufgaben der Politik zählt, über die Zukunft nachzudenken. Nur wer das Gestern kennt und sich der Wirkungen seines Handelns in Gegenwart und Zukunft bewusst ist, kann verantwortlich handeln.
Unter Zeitzeugen wie Historikern gilt Konrad Adenauer als geschickter Pragmatiker. Er ist ein herausragender Politiker des 20. Jahrhunderts. Sein Instinkt, sein Geschick und seine Weitsicht haben ihn dazu gemacht.
In vielen seiner Äußerungen erkennen wir insbesondere seine große Leidenschaft! Über das Wesen des Politikers hat er gesagt:
In der Vorstellung vieler ist der Politiker und Staatsmann ein Mensch, der mit dem Verstand und mit kühler Berechnung arbeitet.
Aber er wusste auch, dass mehr dazugehört:
Wer für das Wohl eines (…) Volkes verantwortlich ist (…), der muss ein heißes Herz haben für sein Volk und sein Land.
Ganz sicher hat sein rheinisches "heißes Herz für Volk und Land" die untrennbar mit seinem Namen verbundenen Erfolge begünstigt: die Leistung des Wiederaufbaus und die politischen Weichenstellungen der jungen Bundesrepublik Deutschland, die Grundlagen zur Wiederherstellung der Deutschen Einheit und der Einigung Europas. Vor allem aber kam es auf seine Grundsätze politischen Handelns sowie das Fundament seiner Weltanschauung an.
Einer dieser Grundsätze war für ihn, Vertrauen zu schaffen, als
Grundlage aller gemeinsamen (…) Erfolge.
Vertrauen erwachse
aus der ethischen Basis des politisch Handelnden.
Dazu zählten für ihn Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und Stetigkeit. Denn
nichts ist mehr dazu angetan, die ersten Keime des Vertrauens wieder zu zerstören, als (…) Unstetigkeit.
Stetigkeit bedeutete für ihn auch Konsequenz, vor allem hinsichtlich getroffener Entscheidungen:
Nicht immer hin und her, sondern das, was man als richtig erkannt hat, immer wieder weiter betonen und verfolgen.
Er hatte genaue Vorstellungen, welche Voraussetzungen ein solch konsequentes Handeln bedürfe: Klarheit
über die geistige Struktur der Zeit, in der wir leben.
Klugheit, vor allem aber Erfahrung als Grundstein für richtiges Handeln, für realistisches und überlegtes Handeln; sich mäßigen und beherrschen zu können; und ganz besonders: den Mut zu haben, als richtig Erkanntes
zu sagen, zu vermitteln und durchzuführen.
Diese Eigenschaften befähigen zu konsequentem politischem Handeln. Konsequenz und Geduld waren für Konrad Adenauer entscheidende Mittel in der Politik.
Die Tugend der Geduld zeichnete Konrad Adenauer besonders aus. Durch
die ganze Hast und Unruhe unserer Zeit
würden
Politiker, die Geduld verlieren und immer meinen, jeden Tag etwas Neues sagen zu müssen.
Das gilt in zunehmendem Maße auch für unsere Zeit.
Sowohl auf der kommunalen als auch auf der nationalen, europäischen und globalen Ebene: Wer politische Entscheidungen trifft, sollte sich Adenauers Grundsätze politischen Handelns bewusst machen. Sie besitzen auch im 21. Jahrhundert Aktualität und Gültigkeit.
Gleiches gilt für sein grundsätzliches Politikverständnis:
Für mich ist Politik nicht lediglich Methode, Umweg, Ausweg sondern das Verfolgen von Zielen, die man sich gesetzt hat auf Grund der Weltanschauung, die man in sich trägt.
Konrad Adenauers Weltanschauung ruhte auf dem christlich-abendländischen Fundament. Es bildete den Orientierungsrahmen für sein ganz konkretes politisches Handeln. Er fühlte sich und seine Weltanschauung
geprägt von den beiden großen Komponenten der abendländischen Kultur, dem Christentum und dem Humanismus der griechisch-römischen Antike.
Diese Prägung kennzeichnete seine Politik der Westbindung wie auch seine wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidungen. Es waren keine Einzelmaßnahmen, die den tagesaktuellen Erfordernissen geschuldet waren. Vielmehr besaßen sie eine strukturpolitische Dimension, die heute wichtiger denn je ist. Der Gestaltungs- und Orientierungsrahmen Konrad Adenauers ist neu zu festigen. Es geht dabei um nichts Geringeres als um die Auseinandersetzung mit den Grundfragen unseres Zusammenlebens in Deutschland, Europa und der Welt. Es gilt darzulegen, wie die christlich-abendländischen Grundlagen und Werte uns helfen können, den Erfordernissen und Herausforderungen unserer Zeit gerecht zu werden. Die Prinzipien Personalität, Solidarität und Subsidiarität, das christliche Menschenbild, aus welchem sich die Unantastbarkeit der Menschenwürde ableitet sowie die Werte Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden müssen auch im 21. Jahrhundert Grundlage unseres Gemeinwesens bleiben.
Auch für die Politik gilt: Ohne eine Neubelebung unserer Werte werden wir verlorenes Vertrauen nicht zurückgewinnen. Eine auf dem christlichen Menschenbild beruhende Politik ist ein zentraler Schlüssel zur Bewältigung der Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft. In Köln, dem Geburts- sowie langjährigen Heimat- und Wirkungsort Konrad Adenauers, wird in politischer, kultureller, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht überdeutlich: Die Verbindung von Tradition und Moderne, von Geschichtsbewusstsein und Vertrauen in die Zukunft, von Bewahren und Verändern, von gesellschaftlichem Zusammenhalt und Integration sowie von Weltoffenheit und Lokalpatriotismus kann gelingen. Entscheidende Grundlagen dafür verdanken wir nicht zuletzt Konrad Adenauer: Die Kölner Stadtverordnetenversammlung wählte vor 100 Jahren einen Visionär an die Spitze der Domstadt, dessen lokales, nationales und europäisches Erbe in der Region Köln/Bonn bis heute sicht- und spürbar ist. Seinem wegweisenden politischen Vermächtnis zollen wir, die Konrad-Adenauer-Stiftung, in der Kölner Themenwoche "Konrad Adenauer und die Stadt der Zukunft", unter anderem mit unserem diesjährigen Kommunalkongress und einem Jugendpolitiktag, Anerkennung und Respekt.