Im Jahr 2002 haben die Vereinten Nationen (UN) für die Jahre 2005 bis 2014 die Weltdekade "Bildung für nachhaltige Entwicklung" ausgerufen. Die internationale Initiative will dazu beitragen, die Prinzipien nachhaltiger Entwicklung weltweit in den nationalen Bildungssystemen zu verankern, da die Menschen weltweit zukünftig in allen Lebensbereichen darauf angewiesen sind.
In weiteren Schritten wurde 2015 von den Vereinten Nationen das UNESCO – Weltaktionsprogramm Bildung für nachhaltige Entwicklung (WAP BNE 2015 bis 2019) sowie die 17 Ziele nachhaltiger Entwicklung (Sustainable Development Goals,) mit der globalen Bildungsagenda 2016 bis 2030 verabschiedet.
Als das Schlüsselelement zur Umsetzung dieser Ziele gilt die Bildung. Mit einem ganzheitlichen und transformativen Bildungsansatz soll den globalen Herausforderungen, wie etwa dem Klimawandel, mit verändertem Handeln begegnet werden und die Lebensgrundlagen für kommende Generationen gesichert werden.
2017 wurde in Deutschland der Nationale Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung erstellt. Mittels des Aktionsplans soll Bildung für Nachhaltigkeit strukturell verankert und die Bildungssysteme entsprechend weiter entwickelt und gefördert werden. Auf verschiedenen Ebenen schließen sich die jeweiligen Bildungspartnerinnen und Bildungspartner zusammen und fördern in gemeinsamer Verantwortung hochwertige Bildung, Bildungsgerechtigkeit, Inklusion und Integration und ermöglichen lebenslanges Lernen.
Die Kampagne "Schule der Zukunft - Bildung für Nachhaltigkeit" unterstützt alle Schulen in Nordrhein-Westfalen und außerschulische Bildungspartnerinnen und -partner, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in den Unterricht und Schulalltag einzubeziehen.
Im Mai 2019 veröffentlichte das Ministerium für Schule und Bildung Nordrhein-Westfalen die "Leitlinie Bildung für nachhaltige Entwicklung " als eine Grundlage für die Umsetzung im Unterricht und am Lernort Schule.
Der Lernort Schule kann also auch als Handlungsfeld für nachhaltige Entwicklung verstanden und von den verschiedenen Akteurinnen und Akteuren im Rahmen der vorgesehenen Möglichkeiten eigenverantwortlich gestaltet werden. Anlässe können beispielsweise die Schulverpflegung, der Schulkiosk, das Schulgebäude, gegebenenfalls der Schulgarten beziehungsweise das Schulgelände sein. "
Vielfältige Lernchancen, Mitwirkungsmöglichkeiten für die Schulgemeinde und Erfahrungen von Selbstwirksamkeit schafft auch die naturnahe Gestaltung des eigenen Schulgeländes. "
Siehe: "Leitlinie Bildung für nachhaltige Entwicklung", Ministerium für Schule und Bildung NRW, 2019, 4.1 BNE am Lernort Schule, Seite 38.
Bildung für nachhaltige Entwicklung - worum geht es?
Der Kerngedanke der nachhaltigen Entwicklung sagt aus, dass zukünftige Generationen gesicherte Lebensgrundlagen und dieselben Chancen auf ein erfülltes Leben haben sollen wie wir. Gleichzeitig müssen Chancen für alle Menschen auf der Erde fairer verteilt werden. Nachhaltige Entwicklung verbindet wirtschaftlichen Fortschritt mit sozialer Gerechtigkeit und dem Schutz der natürlichen Umwelt.
Bildung für nachhaltige Entwicklung vermittelt Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen nachhaltiges Denken und Handeln. Sie versetzt Menschen in die Lage, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen und dabei abzuschätzen, wie sich das eigene Handeln auf künftige Generationen oder das Leben in anderen Weltregionen auswirkt.
Wenn Menschen dies lernen sollen, müssen sie besondere Qualifikationen erwerben. Zusammenfassen lassen sich diese Fähigkeiten unter dem Begriff "Gestaltungskompetenz". Dazu gehört:
- Partizipativ, gemeinsam mit anderen planen, entscheiden und handeln können
- Vorausschauend Entwicklungen analysieren und beurteilen können
- Die eigenen Leitbilder und die anderer reflektieren können
- Zielkonflikte bei der Reflexion über Handlungsstrategien berücksichtigen können
- Sich und andere motivieren können, aktiv zu werden
- Interdisziplinär Erkenntnisse gewinnen und handeln
- Empathie für andere zeigen können
- Weltoffen und neue Perspektiven integrierend Wissen aufbauen
- Risiken, Gefahren und Unsicherheiten erkennen und abwägen können
- Vorstellungen von Gerechtigkeit als Entscheidungs- und Handlungsgrundlage nutzen können
Gestaltungskompetenz lernen im Schulgarten
Schulgärten sind in besonderem Maße geeignet, Gestaltungskompetenz zu erwerben. Dies soll am Beispiel der oben benannten Fähigkeiten gezeigt werden.
- Gemeinsam mit anderen planen, entscheiden und handeln können
Der Schulgarten wird von Schülerinnen und Schülern, Eltern, Lehrkräften, OGS-Fachkräften und auch von ehrenamtlichen Partnerinnen und Partnern gemeinsam geplant und bewirtschaftet. Es gilt immer wieder Entscheidungen zu treffen und danach zu handeln: Wer macht wann, was? Was wird wo angebaut? Was geschieht mit dem Erntegut? Welche Biotope sollen geschaffen werden? Im Garten merkt man sehr schnell, dass Reden allein nicht hilft – denn wenn man sich nicht aktiv um den Garten kümmert, wächst und gedeiht es eben nicht so, wie man es sich vorstellt. - Vorausschauend Entwicklungen analysieren und beurteilen können
Gartenarbeit ist vorausschauende Arbeit: Wenn ich einen Obstbaum pflanze, muss ich heute schon berücksichtigen, wie groß er werden wird, wenn er ausgewachsen ist, und entsprechenden Standraum einplanen. Wenn ich im kommenden Jahr eine gute Ernte haben will, muss ich im Herbst zuvor den Kompost auf den Beeten aufbringen. Und wenn ich im Herbst einen reifen Kompost haben will, muss ich ihn im Sommer umsetzen. Gartenarbeit ist immer auch ein Berücksichtigen und Nutzen natürlicher Kreisläufe, ein Arbeiten in Anpassung an den Rhythmus der Natur im "Mikrokosmos Garten". Wer dies frühzeitig lernt, ist später auch in der Lage und willens, die Grenzen, die die globale Natur dem Menschen setzt, zu respektieren. - Die eigenen Leitbilder und die anderer reflektieren können
Ein Schulgarten kann vielfältige Funktionen erfüllen, so hat jeder ein eigenes Bild vom Garten: Einer möchte Gemüse anbauen, ein anderer möchte dort Ruhe und Erholung finden, ein Dritter will einen Naturgarten mit vielen Kleinbiotopen schaffen. Sich hier darüber bewusst zu werden, was "Garten" für einen selbst bedeutet, ist ein wichtiger Akt der Selbstreflexion. Und die gemeinsame Planung ist der beste Weg, diese unterschiedlichen Leitbilder erkennbar werden zu lassen – und sich vielleicht durch die Leitbilder anderer inspirieren zu lassen. - Zielkonflikte bei der Reflexion über Handlungsstrategien berücksichtigen können
Bei der Planung und vor allem der Umsetzung muss ein Konsens zwischen unterschiedlichen Vorstellungen erzielt werden – denn an einer Stelle kann nur eine Pflanze wachsen. Aber der Garten liefert auch vielfältige Gelegenheiten zu Kompromissen, beispielsweise der Anbau verschiedener Gemüsearten in Mischkulturen oder Fruchtfolgen, das Abwechseln bei unangenehmen Arbeiten wie Unkraut jäten. - Sich und andere motivieren können, aktiv zu werden
Kinder sind im Prinzip leicht motivierbar, ihre Motivation kann aber auch schnell wieder verschwinden, wenn ihre Aktionen keine Resultate erzielen. Außerdem haben Kinder ein "angeborenes" Interesse für die Natur. Diese beiden Aspekte machen den Garten zum idealen Ort, um die Kette "Interesse – Motivation – Planen – Handeln" zu einem festen Bestandteil des Lebensstils werden zu lassen. Denn hier können die Kinder ihr Interesse an der Natur in gestalterisches Tun münden lassen: Sie säen, pflanzen und pflegen. Das Ergebnis macht sie nicht nur stolz, sondern schmeckt oft auch lecker. Sie lernen also, dass es Folgen hat, wenn sie handeln – oder auch wenn sie nicht handeln (die Pflanze geht ein oder trägt nicht die erwarteten Früchte oder wird von Beikräutern überwuchert). - Interdisziplinär Erkenntnisse gewinnen und handeln
Der Garten ist per se ein interdisziplinäres Erfahrungsfeld: Man muss sich biologisches Wissen aneignen und in seinem Handeln berücksichtigen. Wer eine Tomate zu früh auspflanzt, muss damit rechnen, dass sie erfriert – denn die Tomate stammt aus frostfreien Regionen. Man braucht handwerkliches Geschick, so ist richtiges Pikieren eine Kunst! Man muss messen und rechnen können. Wie viele Bohnensamen brauche ich für zwei Reihen mit jeweils 3 Metern Länge, wenn im Abstand von je 40 Zentimeter je 5 Samen gelegt werden? Aber insbesondere ist der Garten ein Ort des ganzheitlichen Lernens – mit Hand und Kopf, aber vor allem auch mit Herz, denn der der tätige Umgang mit der Natur schafft eine unmittelbare Beziehung zu den Lebewesen – jenen, die ich kultiviere, aber auch den anderen, die das von mir Geschaffene als Lebensraum annehmen und die ich (teilweise mit gemischten Gefühlen) beobachten und untersuchen kann. - Empathie für andere zeigen können
So entsteht zunächst Empathie für die Pflanzen und Tiere, mit denen die Schülerinnen und Schüler im Garten unmittelbar zu tun haben. Im Schulgarten werden diese Erlebnisse aber nicht einsam, sondern gemeinsam gemacht. Und so entsteht auch Empathie für diejenigen, die mit mir planen, arbeiten, Freud und Leid des Gärtnerns erleben. Und weil es nicht nur Gleichaltrige, sondern Menschen unterschiedlicher Generationen, aber auch unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft sind, mit denen die Schülerinnen und Schüler zusammen arbeiten, bietet der Schulgarten auch die Möglichkeit, sich durch direkte Begegnung und gemeinsames Tun und Erleben dem Fremden zu öffnen – eine elementare Voraussetzung für Toleranz und ein friedliches Zusammenleben in interkulturellen Gesellschaften. - Weltoffen und neue Perspektiven integrierend Wissen aufbauen
Gärten sind eine universelle Kulturform. In Gärten kann also nicht nur die regionale Kultur vermittelt werden – wenn dies auch ein wichtiges Anliegen der Schulgärten ist, in denen beispielsweise auch Seniorpartnerinnen und Seniorpartner ihr traditionelles Wissen weitergeben können. Vielmehr ermöglicht beispielsweise der Anbau fremdländischer Kulturpflanzen einen praktischen Einstieg ins Globale Lernen – und in die Integrationsarbeit, wenn die Ernteprodukte zusammen mit den Eltern in der Schulküche zu türkischen, albanischen oder chinesischen Gerichten verarbeitet werden. - Risiken, Gefahren und Unsicherheiten erkennen und abwägen können
Garten ist Landwirtschaft – und damit abhängig von den "Launen der Natur": dem Wetter und all den Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen, die den Kulturpflanzen schaden können. Vorbeugung ist daher ein wichtiges gärtnerisches Prinzip, das auch für einen nachhaltigen Lebensstil und für nachhaltige Politik charakteristisch ist: Gesunde Ernährung beugt Krankheiten vor, die Vermeidung von Flächenversiegelung beugt Hochwasser vor, Sparsamkeit beugt Verschuldung vor. - Vorstellungen von Gerechtigkeit als Entscheidungs- und Handlungsgrundlage nutzen können
Im Schulgarten arbeiten alle auf Augenhöhe, Jung und Alt, mit oder ohne Handicap, mit oder ohne Deutschkenntnisse - denn alle können voneinander etwas lernen. Verschiedene Interessen werden gleichberechtigt berücksichtigt, verschiedene Fähigkeiten gleichwertig anerkannt. Kinder erfahren ganz praktisch, dass Menschen vielfältig sind. Im Schulgarten werden generell Kompetenzen aufgewertet, beispielsweise die Fähigkeit aus den Gartenprodukten gesunde und schmackhafte Gerichte zu kochen – auch ohne nennenswerte Deutschkenntnisse.