Architekt Aat Vos sieht in der Kalker Stadtteilbibliothek einen Ort des Austauschs

Von Mick Schulz
Kölnische Rundschau, 2. Januar 2018, Seite 33, Ausgabe 1


Aat Vos (53) ist Architekt aus den Niederlanden. Sein Spezialgebiet ist die Wiederbelebung öffentlicher Räume, vor allem von Bibliotheken. In Köln arbeitet er zur Zeit an der Neugestaltung der Stadtteilbibliothek Kalk. Er hat in Oslo, Amsterdam und Antwerpen an Bibliotheken gearbeitet. Mit ihm sprach Mick Schulz. 

Über Ihre Arbeitsweise ist bekannt, dass Sie sich zunächst ein Bild von den Begebenheiten vor Ort machen. Wie lief das für die Stadtteilbibliothek Kalk ab?
Ich habe festgestellt, dass es Sinn ergibt, zuerst zu prüfen, was überhaupt die Bedürfnisse vor Ort sind. Ich habe damit aufgehört, einfach im Büro zu planen und dann irgendwo aufzutauchen, meine Entwürfe aufzuhängen und zu sagen: Das ist es nun.

Und konkret? Waren Sie in Kalk?
Ich habe für die Entwicklung der Ideen eine Woche zur Verfügung gehabt. In der Zeit habe ich in Kalk gelebt und mich dort umgesehen. Außerdem habe ich mit den Bibliotheksangestellten geredet, von denen einige selbst in Kalk leben.

Was haben Sie herausgefunden?
Wenn man aus der U-Bahn hochkommt, sieht man erstmal diese Drogenecke. Dahinter hat sich die Bibliothek nach außen hin verschlossen. Die Leute, die dort arbeiten, hatten Angst vor dem Problem, deswegen haben sie einfach die Vorhänge zugezogen. Das wollten wir ändern und zu mehr Offenheit kommen. Andererseits hatten die Angestellten das Selbstverständnis, dass sie dafür arbeiten, Kalk zu einem besseren Ort zu machen.

Wo Sie auch ansetzen wollen?
Ja, aber um das zu erklären, muss ich ein bisschen ausholen. Es gibt die Theorie von dem "Dritten Ort", die der Soziologe Ray Oldenburg aufgestellt hat. Darin geht es um einen Platz, der zum Zuhause und zum Arbeitsplatz hinzu kommt. Dort herrscht gleichzeitig Öffentlichkeit aber auch Heimatgefühl. Es ist ein Ort, an den wir auch alleine gehen können und wo wir uns sicher fühlen und wir selbst sein können.

Haben Sie ein Beispiel dafür?
Das klassische Beispiel wäre die Eckkneipe. Aber heutzutage sind solche dritten Orte vor allem kommerziell. Starbucks versucht, so ein Ort zu sein, aber da muss man vier Euro für einen Kaffee bezahlen. Das schließt manche Menschen, die das Geld nicht haben, einfach aus. Als ich in Kalk war, habe ich in einer Bäckerei gesehen, dass viele Leute dort zusammen saßen, geredet haben oder ihre Kinder gefüttert. Da habe ich festgestellt: Ok, die Menschen in Kalk brauchen solche Orte, wo sie Zeit verbringen können.

Und diese Menschen sollen in die Stadtteilbibliothek kommen?
Genau. Wir haben viel Geld und auch eine Menge Platz dafür aufgewendet, dass wir einen "coolen" Ort erschaffen, wo die Kalker sich gern aufhalten. Ohne etwas dafür bezahlen zu müssen.

Es gibt die Redensart, dass Dinge die nichts kosten, nichts wert sind. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass die Wertschätzung in der Bevölkerung fehlen könnte?
Das ist eine Kritik, die ich schon gehört habe und auf die ich ehrlich gesagt keine abschließende Antwort habe. Aber ich glaube, dass Menschen etwas Schönes um seiner selbst Willen wertschätzen. Und wenn man das Argument umdreht, wird es ohnehin indiskutabel - oder sollte man nichts Schönes erschaffen, weil es nicht wertgeschätzt werden könnte?

Apropos Wertschätzung - in Kalk gibt es schon seit mehreren Jahren die Sorge, dass der Stadtteil gentrifiziert wird. Könnte die neue Bibliothek in diesem Prozess eine Rolle spielen?
Ja, das könnte sie. Ich sehe das so: Gentrifizierung ist als Prozess nicht zu stoppen, aber sehr wohl zu steuern. Indem wir mit der Bibliothek einen Ort schaffen, der eben gerade nicht durchkommerzialisiert ist, behalten wir einen Anlaufpunkt im Veedel für weniger wohlhabende Menschen.

Die Leute sollen einen Ort bekommen, um Zeit zu verbringen. Aber was ist eigentlich mit der Kernkompetenz einer Bücherei, den Büchern?
Wenn Sie mal in das Unesco-Manifest zu öffentlichen Bibliotheken schauen, werden sie dort nicht einmal das Wort Buch finden. Es geht um Informationen und heutzutage vor allem darum, aus der Informationsflut des Internets auszuwählen. Da kommen die Mitarbeiter ins Spiel, die Medienkompetenz vermitteln können. Die spielen eine größere Rolle als die Bücher. Bibliotheken sind wichtiger denn je, aber es geht dabei nicht um Bücher.

Worum dann?
Unsere Gesellschaft als Ganzes. Es geht um den freien Zugang zu Information und damit geht es gewissermaßen auch um Chancengleichheit. Ich nehme mich mal selbst als Beispiel. Ich komme aus einem liberalen, wohlhabenden Elternhaus. Ich hatte riesiges Glück, weil ich alle Hilfe, die ich brauchte, am Küchentisch bekommen habe. Das Glück hat aber nicht jeder. Was wir daher brauchen, sind öffentliche Küchentische.

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