Preisträgerin des Horst und Gretl Will-Stipendiums für Jazz/Improvisierte Musik 2021

© Daniel Poštrak
Hans-Jürgen Linke, Laudator

Laudatio, vorgetragen von Hans-Jürgen Linke

 

Fragen nach einem Entweder-Oder verlangen vor ihrer Beantwortung Entscheidungen. Luise Volkmann hat sich für das Horst und Gretl Will-Stipendium unter der doppelten Berufsbezeichnung "Komponistin und Saxofonistin" beworben. Darum habe ich sie unter anderem gefragt, in welchem der beiden Arbeitsfelder sie ihren Schwerpunkt sehe. Schließlich macht es einen Unterschied, ob man nun Klänge ersinnt und Noten oder Grafiken, die Musik bedeuten, zu Papier bringt – oder ob man ein Instrument erforscht, Spieltechniken erlernt und entwickelt und die Ergebnisse einem geneigten Publikum vorspielt. Meine Fragestellung ist insofern naheliegend, als bei uns die Kunstform Musik in der Regel aus zwei Sparten zusammengesetzt ist, nämlich der komponierenden und der aufführenden. In der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Musik gibt es noch mehr Unterschiede, Marktsegmente, Traditionen, Spielweisen. Man muss sich also vielleicht wirklich entscheiden für irgendetwas davon.

Natürlich hat Luise Volkmann sich entschieden, und zwar gegen eine Auffassung von Musik, die solche Aufteilungen und Segmentierungen als prästabilisierte Harmonie voraussetzt. Grenzziehungen, Trennungen sind für sie keine sinnvollen Arbeitsweisen. Sie schätzt weder Genre-Grenzen noch gar hierarchische Abstufungen, etwa zwischen E-Musik und U-Musik. Und ob sie sich nun eher als Saxofonistin oder Komponistin sieht, ist oft einfach eine Frage der Arbeitsphase, in der sie sich gerade befindet.

Studiert hat sie sowohl Jazz-Saxofon wie auch klassischen Gesang und Flöte. Ihren Bachelor-Abschluss in Leipzig hat sie in Köln mit einem Master-Abschluss in Komposition und Arrangement komplettiert. Außerdem hat sie drei Jahre in Paris, am Conservatoire nationale supérieure studiert. Dabei ist ihr eine weitere Trennungslinie abhanden gekommen: eine zwischen Musik, Zirkus und anderen theatralen Formen. Es gebe in Frankreich in den Bühnenkünsten eine sehr präsente Tradition des Burlesken, des Grotesken und auch des Kindlichen, sagt sie. Und wie wir in ihrer Musik manchmal hören können, ergibt sich daraus die Chance, manchmal mehrere scheinbar divergierende Dinge zugleich zu tun.

Als Komponistin arbeitet Luise Volkmann in verschiedenen Sparten der zeitgenössischen Musik. Manche Menschen halten Improvisation und die Unwiederholbarkeit des klingenden Augenblicks für das schlagende Herz des Jazz und Kompositionen eher für ein manchmal nicht einmal notwendiges Übel. Luise Volkmann aber arbeitet an der "Etablierung einer emanzipiert genuinen Jazzkompositionsweise".

Wenn Luise Volkmann sich also als Jazzmusikerin sieht und von der Jury genau so gesehen wird, kann das daran liegen, dass der Jazz heute ein musikalisches und soziales Gebilde ist, in dem an der Überwindung von Schranken und Verständnislosigkeiten gearbeitet wird. Ihr Interesse gilt nicht musikalischen Genres, sondern Klangwelten des Zeitgenössischen. Und ihre Welt ist nicht nur Klang. Musik ist immer auch definiert über den Bezug zu einem bestimmten sozialen Gebilde, das Publikum sein kann oder Szene oder Gemeinde oder Gefolgschaft.

Ein weiterer Grund, warum Luise Volkmann sich am ehesten in der weiten Welt des Jazz zu Hause fühlt, könnte darin liegen, dass die professionelle Gesellungsform hier nicht das Orchester ist oder ein Gebilde aus Solistin oder Solist und Begleit-Formation, sondern die Band. Die Band, sagt Luise Volkmann, sei ein kollektives Gebilde. Es gebe zwar eine Arbeitsteilung, aber eigentlich keine feste Hierarchie, und man müsse sich vertrauen und aufeinander verlassen können, um gemeinsame Wagnisse anzugehen und zu gestalten.

In einem Projekt, das demnächst in Darmstadt uraufgeführt wird, hat sie sich mit einer der rätselhaftesten Figuren der Jazz-Geschichte auseinandergesetzt, mit dem Pianisten und Komponisten Sun Ra, der 1993 gestorben ist, dessen Band , das "Arkestra", aber immer noch am Leben ist. Übrigens gibt es Anhänger, die der Auffassung sind, Sun Ra sei nicht gestorben, sondern nur zum Saturn zurückgekehrt, von dem er einst auf die Erde gekommen sei. Man muss sich nicht unbedingt so weit hinaus tragen lassen, um den Wert des sozialen Gebildes einer Band zu würdigen und zu markieren, wie sehr Musik eine gesellschaftliche Haltung enthalten oder prägen kann.

Luise Volkmanns Album "When The Birds Upraise Their Choir", im Herbst 2020 erschienen, ist unter anderem auch eine kompositorisch ungemein verdichtete und raffinierte Hommage an die untergegangene Welt der Hippie-Kultur, in der manches sehr unentmischt vorkam, was heute in unterschiedlichste religiöse, pazifistische, naturverbundene soziale Bewegungen auseinanderdividiert ist.

Die Jury des Horst und Gretl Will Stipendiums wünscht Luise Volkmann einen weiterhin üppigen Zufluss an Ideen, stets genügend anregende Musikerinnen und Musiker in ihrer Umgebung und viel viel Publikum.