8. Januar 1876 bis 12. November 1943
Das Konvolut Joseph Johann Knippenberg umfasst 346 Glasnegative im Format 18 x 24 Zentimeter und circa 50 großformatige Abzüge mit Motiven vom Mittel- und Niederrhein. Der Nachlass gelangte 2018 als Schenkung seines Enkels Hans-Joseph Madest in den Besitz des Rheinischen Bildarchivs Köln. Die Positive wurden leihweise zur Verfügung gestellt und digitalisiert, um gemeinsam mit den Negativen der Nutzung und Erforschung dieses Fotografenbestands zur Verfügung zu stehen.
In Knippenbergs Heimatstadt Rees entstand neben klassischen Stadtansichten und Aufnahmen des Rheinufers auch eine Serie über die Salmfischerei am Niederrhein. Reproduziert sind sie in dem 1988 in Kleve erschienen Buch von Werner Böcking: "So fischte man am Niederrhein".
Nach seinem Umzug nach Bacharach im Jahr 1935 entstanden Aufnahmen der touristischen Highlights des Mittelrheingebiets, doch die Gegend hatte Knippenberg schon zuvor erkundet: Von Burg Stahleck in Bacharach hat Knippenberg bereits um 1920 Aufnahmen gemacht, als die Burg noch eine Ruine war, dann hat er den Wiederaufbau in den 30er Jahren umfangreich dokumentiert. Klassiker der Rheinromantik, romantisierende Aufnahmen der Loreley und aus Rüdesheim, Weinberge oder die fotogene Zollburg Pfalzgrafenstein, aber auch Bilder von Weinfesten erwiesen sich als erfolgreiche Postkartenmotive.
Photograph, Buchdrucker und Verleger
Joseph Johann Knippenberg kam am 8. Januar 1876 in Rees als Sohn des Buchhändlers und Druckers Franz Knippenberg und seiner Frau Christine, geborene Arndts, zur Welt. Auf einer Aufnahme aus den 10er Jahren des 20. Jahrhunderts liest man an einer Hauswand in der Dellstraße 1 in der Stadt am Niederrhein den Werbeschriftzug "Franz Knippenberg. Buchdruckerei, Papier- und Schreibwarenhandlung, Buchbinderei, Photographische Anstalt" (rba_d049942).
Von Joseph Knippenberg stammen Aufnahmen der Setzkästen und der sogenannten Windsbraut, einer Buchdruck-Schnellpresse der Maschinenfabrik J. G. Schelter & Giesecke, Leipzig, sanft vom einströmenden Licht beleuchtet, das durch die hohen Fenster dringt. (rba_d047207_01)
Noch bei seiner zweiten Heirat im Jahr 1922 mit Emma Helene Lenke, die Knippenberg nach einer ersten Ehe mit Agnes Tillmann einging, die er 1904 geheiratet hatte, führte er als Berufsbezeichnung "Buchhändler" und tatsächlich war auch die Fotografie, der er sich seit der Jahrhundertwende immer stärker zuwandte, vor allem Basis für Gedrucktes, für Reproduktionen verschiedener Art, Postkarten und diverse Publikationen. Als Knippenberg, der bis 1925 in der väterlichen Buchdruckerei arbeitete, im Jahr 1926 nach Düsseldorf ging, machte er sich dort als Verleger und Fotograf selbstständig.
Salmfischerei am Niederrhein
Nach Rees kehrte er allerdings immer wieder zurück, neben klassischen Stadtansichten gibt es idyllische Aufnahmen weidender Schafe am Rheinufer und Bilder der Uferpromenade, seine meistreproduzierten Fotografien stammen aber vom Eisgang im Jahr 1929 und zeigen ausgelassene Menschen auf dem in skurrilen Formationen zugefrorenen Rhein.
Ein Jahr zuvor entstand eine umfangreiche Serie über die Salmfischerei am Niederrhein (rba_225603_kni bis rba_225606_kni). Es gibt ein Gemälde von Piet Leising (1885-1933), das eine Gruppe von sechs Fischern beim Einholen der Zegennetze zeigt. Das Zegennetz, ein Großnetz mit einer Länge von 120 bis 200 Metern, einer Breite zwischen 4 und 8 Metern, zusammengesetzt aus mehreren etwa 10 Meter langen Teilnetzen, gehörte zu den wichtigsten Fangeräten zwischen Bonn und Emmerich. Knippenberg hat von diesem Gemälde nicht nur eine Reproduktion angefertigt (rba_225607_kni), sondern es diente ihm zugleich als Inspiration für eine Serie von Aufnahmen von Fischern am Niederrhein, die er nicht nur beim Netzzug dokumentierte, sondern auch nach dem Fang eines beeindruckenden, circa 3 Zentner schweren Störs, mit dem die Männer vor Knippenbergs Kamera posieren. Reproduziert sind sie in dem 1988 in Kleve erschienen Buch von Werner Böcking: "So fischte man am Niederrhein".
In Düsseldorf an der Kö
Als Joseph Knippenberg im Jahr 1926 nach Düsseldorf zog, konnte er seinen Geschäftsstempel mit einer noblen Adresse versehen: Königsallee 38/40, das Haus, in dem auch die Lichtburg untergebracht war, einer der schönsten, 1910 gegründeten Theatersäle Deutschlands, vornehm und elegant, bereits die Garderobenablage in maurischer Bauart, wie im gleichen Jahr in der Nr. 201 der Zeitschrift "Kinematograph" zu lesen war.
Auch im Zusammenhang mit dem legendären Künstlerverein Malkasten taucht Joseph Knippenberg auf, dort war er zwar kein Mitglied, aber im Malkastenarchiv befindet sich eine Mappe mit fünfzehn detailreichen Abzügen der Dekorationen der Malkasten-Redoute "Im Reiche des Buddha", die im Jahr 1927 von Hans Kohlschein ausgerichtet wurde. (Inv.-Nr. A 10: Mappe mit 15 Aufnahmen der Redoute-Dekoration 1927 "Im Reich des Buddha", Dekorationen von Hans Kohlschein und Carl Ederer, Albumgröße: 25,5 x 33 cm.) Fünf Jahre später konnte man in den Düsseldorfer Stadt-Nachrichten vom 21. September 1932 auf Seite 1 "Das schönste Photo Düsseldorfs" sehen: der Corneliusplatz mit seiner Brunnenanlage, fotografiert von Joseph Knippenberg. Unter 1.200 Einsendungen des Photowettbewerbs des Verkehrvereins Düsseldorf wurde das klassisch komponierte Bild des wilhelminischen Schmuckplatzes mit seinem neobarocken Schalenbrunnen prämiert.
Knippenberg in Bacharach
Nach drei Umzügen im Düsseldorfer Stadtgebiet zog Knippenberg schließlich im Jahr 1935 ins touristisch gut erschlossene Bacharach an den Mittelrhein, eine geschäftspolitisch vernünftig erscheinende Wahl. Hier eröffnete er ein Fotostudio, das als Andenken- und Papierwarenladen in Familientradition bis 2014 weitergeführt wurde. Um 1938 entstand eine Aufnahme, die einen Blick in die Oberstraße mit seinem Ladenlokal bietet. (rba_225295_kni) Die Fotografien Knippenbergs widmen sich den "Klassikern" der Rheinromantik, weder romantisierende Aufnahmen der Loreley (rba_225553_kni), noch Weinberge (rba_225373_kni bis 225375_kni), Weinstuben (rba_225366_kni) und andere "Highlights" wie die Drosselgasse (rba_225321_kni) in Rüdesheim oder die fotogene Zollburg Pfalzgrafenstein bei Kaub fehlen.
Auch in Bacharach fotografierte Knippenberg die "Wahrzeichen" der Stadt, zu denen insbesondere die gotische Wernerkapelle (rba_225501_kni /rba_225502_kni und rba_225507/rba_225508_kni) gehört, die auf dem Weg zur Burg Stahleck liegt. Namensgeber dieser zur Ruine verfallenen Kapelle ist der „gute Werner von Oberwesel“, ein jugendlicher Tagelöhner, der im April 1287 erschlagen in der Nähe von Bacharach aufgefunden wurde. Rasch kam das Gerücht auf, er sei am Karfreitag von Juden rituell ermordet (gekreuzigt) worden. Werner wurde drei Tage in Bacharach aufgebahrt und dann in der örtlichen Kapelle begraben, zur der bald zahlreiche Pilger strömten. Im folgenden Sommer kam es nicht nur zu Wunderheilungen an seinem Grab, sondern am Mittelrhein und sogar darüber hinaus zu Pogromen; eine literarische Adaption findet sich in Heinrich Heines "Rabbi von Bacherach". Erst 1963 wurde Werner aus dem Heiligenkalender der Diözese Trier gestrichen.
30 Jahre zuvor war ein Monument errichtet worden, das auf zahlreichen Fotografien Knippenbergs auftaucht: Der damalige Bürgermeister Berger schlug auf Anregung der Ortsgruppe der NSDAP vor, den schönsten Aussichtspunkt auf Bacharach und das Rheintal zukünftig Hitlerhöhe zu nennen. Die Reichskanzlei war damit einverstanden, und im August 1933 wurde das zehn Meter hohe Hakenkreuz eingeweiht (rba_225476_kni und rba_225494_kni). Die Bacharacher Geschäftswelt begann mit dem Hakenkreuz über der Stadt Werbung zu machen, ein wirtschaftlicher Aufschwung setzte ein, und der Fremdenverkehr erfuhr neuen Aufschwung. Die Jugendherberge auf Burg Stahleck wurde erweitert und ab 1935 als Erziehungsstätte "deutschen Geistes und völkischen Lebens" genutzt. (rba_225319_kni und rba_225308_kni)
Auf den Fotografien Knippenbergs sieht man den Aus- und Umbau von Stahleck, die Flaggen und Versammlungen auf dem Marktplatz (rba_225423_kni), bei den Weinfesten dominieren allerdings Aufnahmen Feiernder in historischen Kostümen – der Bacchus (rba_d047370) die Winzertrachtengruppe (rba_d047372) und Willi Ostermann (rba_d047382) als besonderer Gast schienen verkaufsträchtiger als Indizien für die Einflussnahme der Partei und Bilder der sogenannten KdF (Kraft durch Freude)-Gäste.
Knippenberg zog also zu einem Zeitpunkt nach Bacharach, als der Ort sich touristisch mauserte. Belege aus der Zeit sind Postkarten und Dokumentarfotografien historischer Grafiken, die Knippenberg im Original oder als Reproduktionen verkaufte und dafür abfotografierte. Das erklärt die große Anzahl seiner Reprofotografien. Häufig gibt es Glasdiapositive zu Glasdianegativen, die er erstellte, um eine Basis für weitere Abzüge zu haben. Seine Experimentierfreude beschränkte sich eher auf formale Lösungen, indem er beispielsweise Glasplatten mit Lack bearbeitete (etwa rba_225324_kni, rba_225330 _kni), um auf diese Weise eine piktorialistische Wirkung zu erzielen. Ungewöhnliche Blickwinkel hingegen tauchen in seinem Werk nicht auf; als er 1935 nach Bacharach übersiedelte, war er fast 60 Jahre alt.
Politisch unbelastet sind seinen frühen Aufnahmen vom Niederrhein, die nicht nur zur 700-Jahrfeier der Stadt Rees veröffentlicht, sondern auch vom 4. Januar bis 25. April 1999 im Freilicht- und Volkskundemuseum Roscheider Hof in Konz unter dem Titel "Der Fotograf Joseph Knippenberg – Fotos der Jahrhundertwende aus den Kreisen Cochem und Zell" ausgestellt wurden. Diese stimmungsvollen Landschaftsaufnahmen werden auch weiterhin begehrte Kalendermotive aus dem Niederrheingebiet bleiben.
Knippenberg starb am 12. November 1943 in Bacharach.
Kerstin Stremmel & Evelyn Bertram-Neunzig