Preisträgerin des Rolf Dieter Brinkmann-Stipendiums für Literatur 2021

© Daniel Poštrak
Kamala Dubrovnik, Laudatorin

Laudatio, vorgetragen von Kamala Dubrovnik

 

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Mischgeschlechter, und vor allem liebe Lisa!
Auch von mir eine herzliche Begrüßung – Ich freue mich sehr hier zu sein!

"Literarische Brillianz" - Eine Floskel, die sich schon seit Jahrzehnten auf Klappentexten zur Würdigung von Autorinnen abnutzt und nicht ansatzweise an das heranreicht, was Lisa Roy als Schriftstellerin zu geben hat. Nämlich eine einzigartige Perspektive, künstlerische Konsequenz und ein Bewusstsein für gesamtgesellschaftliche Prozesse.

Lisa Roy ist eine Schriftstellerin, die die Verantwortung zur Kunst zu tragen weiß und damit einen unverzichtbaren politischen Beitrag leistet. Sie zeichnet das Bild einer post-migrantischen Gesellschaft, in der Chancengleichheit und Emanzipation nur zum Schein existieren. Ihr Erzählstil ist beeindruckend scharf und dennoch sensibel und umsichtig. Sie zeigt, was Sprache vermag, nämlich gewaltvoll zu urteilen, szenisch und sinnlich zu beschreiben und vor allem mit Witz und Weitsicht gesellschaftliche Zustände zu reflektieren.

Ihr Roman Brennpunkt behandelt das Verschwinden zwei junger Mädchen in einem sogenannten "Brennpunkt"-Viertel in Essen, sowie eine Ich-Erzählerin, die in genau diesem Viertel aufwuchs und nun dorthin zurückkehrt. Die inneren Konflikte der Protagonistin changieren dabei zwischen Vergangenheit, Herkunft und Zukunft sowie Selbstbestimmung und Fremdwahrnehmung. Es versammeln sich dort böse Stereotype, Vorurteile und Zuschreibungen, die selbstverständlich daher kommen und damit zeigen, wie sich ein sozialer Voyeurismus etabliert hat, der eine Sprache nutzt, die propagandistisch gegen Armut wettert und gegen die, die unter ihr leiden.

Der Roman beginnt wie folgt:

"Die 60er Jahre Siedlung ihrer Kindheit am Essener Stadtrand, hoch im Norden, wenige Minuten Fußweg nach Gelsenkirchen. Türken, ohne Hoffnung auf Integration, aber mit echten Familien, Zusammenhalt, Grillen im Park, gemeinsamer ständiger Überzuckerung und Loyalität – und zugegebenermaßen auch ab und an einer Zwangsehe, häuslicher Gewalt und einem Mädchen, das nicht aus dem Heimaturlaub zurückkehrte. Hier und da ein gut gemeintes, scheiße gemachtes Kulturprojekt, von Zeitungen und Integrationsbeauftragten hoch gelobt, von Arielle und ihren Nachbarn weitestgehend ignoriert, das auf das grüne Ruhrgebiet oder die Geschichte des Bergbaus hinweisen sollte. Braune Menschen vor grauen Fassaden, Plastikspielzeug auf schlecht gepflegtem Rasen, würziges Essen in überfüllten Wohnungen."

Mit einer sprachlich konsequenten Illusionslosigkeit schreibt Lisa Roy gegen die Unsichtbarkeit sozialer Schichten, gegen den Mythos einer klassenlosen, reichen, privilegierten Gesellschaft, und erzählt mit Authentizität davon, was ein Brennpunkt ist, warum er so heißt, was ihn ausmacht, und wie er Gesellschaften prägt.

Liebe Lisa, es ist eine Ehre, hier und heute eine Laudatio auf dich halten zu dürfen, denn dieser Roman muss gelesen werden. Er stellt die wichtigen, unabdingbaren Fragen, und zeigt unmissverständlich, dass wir noch längst nicht in einer klassenlosen Gesellschaft angekommen sind, sondern in einer voller Chancenungleichheiten und politischer Konflikte, die auf den Rücken realer Menschen ausgetragen werden.

Danke Lisa, dass du schreibst!

Und damit Herzlichen Glückwunsch!