Dokumentation zur Fachtagung am 23. Mai 2019 in der Technischen Hochschule Köln

Veranstalterin: Stadtarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik und Technische Hochschule Köln, Kompetenzzentrum SIDI (Soziale Innovation durch Inklusion)

Inhaltsverzeichnis

  • Einführung
  • Begrüßungsrede Professor Dr. Stefan Herzig, MME, Präsident der TH Köln
  • Begrüßungsrede Oberbürgermeisterin Henriette Reker
  • Impulsreferat "Leitfaden zur konsequenten Einbeziehung der Belange von Menschen mit Behinderungen" von Farid El Kholy, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Referat Va5.
  • Impulsvortrag Disability Mainstreaming in Berlin –  Das Thema Behinderung geht alle an, von Dr. Michael Spörke (Leiter der Abteilung Sozialpolitik beim Sozialverband Deutschland, SoVD NRW e. V.)
  • Kommentierung aus der Sicht der Verwaltungsreform, Dr. Rainer Heinz (Leiter des Referates für Strategische Steuerung)
  • Ergebnisdokumentation der Arbeitsgruppe 1: Wie kann Disability Mainstreaming in die Sozialverwaltung eingebunden werden?
  • Ergebnisdokumentation der Arbeitsgruppe 2: Wie kann Disability Mainstreaming in die Bauverwaltung eingebunden werden?
  • Ergebnisdokumentation der Arbeitsgruppe 3: Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung der Verwaltung auf Menschen mit Behinderung?
  • Ergebnisse der Expert*innen-Interviews in der Stadtverwaltung Köln
  • Ausblick
  • Links zum Thema

Einführung

© Stadt Köln, Stadtkonservator

Es dürfen in Köln keine weiteren Mittel für Ausgrenzung und Barrieren verausgabt werden! Im Sinne eines Disability Mainstreaming müssen künftige Entscheidungen und Mittelfreigaben auch unter dem Aspekt einer gleichberechtigten Teilhabe aller Kölner Bürger*innen getroffen werden.

Diese Forderung haben die Mitglieder in der Stadtarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik Köln erhoben, und die Kölner Stadtverwaltung hat sie aufgegriffen.

Gemeinsam wurde entschieden, dass die Veranstaltung aus Anlass des Tages der Menschen mit Behinderung 2018 das Thema Disability Mainstreaming haben soll. Auf dieser Veranstaltung wurde das Thema für ein breites Publikum verständlich vorgestellt.

Die dort begonnene Diskussion sollte am 23. Mai 2019 auf einer Fachtagung in der Technischen Hochschule Köln am Rhein vertieft und konkretisiert werden. Insbesondere sollte überprüft werden, auf welche Art und Weise der Disability Mainstreaming-Ansatz gegebenenfalls in der Kölner Stadtverwaltung angewandt werden kann. Das Kompetenzzentrum SIDI (Soziale Innovation durch Inklusion) der Technischen Hochschule Köln konnte als Kooperationspartner für die Durchführung der Fachtagung gewonnen werden.

Ein Fachpublikum von zirka 60 Personen aus Politik, Behindertenverbänden und Stadtverwaltung kam zusammen, um in drei Arbeitsgruppen erste Ideen zu dem Thema zu vertiefen. Es ergaben sich viele spannende Diskussionen.

Begrüßungsrede Professor Dr. Stefan Herzig, MME, Präsident der TH Köln

– Es gilt das gesprochene Wort – 

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Reker,

sehr geehrter Herr El Kholy,

sehr geehrter Herr Dr. Spörke,

sehr verehrte Mitglieder der Stadtarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik,

liebe Teilnehmer*innern,

liebe Kolleg*innen!

Ich freue mich sehr, Sie zum heutigen Fachtag zum Thema Disability Mainstreaming an der TH Köln begrüßen zu dürfen!

Infolge der demografischen Entwicklung steigt die Zahl derjenigen Menschen, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind kontinuierlich an. Dies zeigt, dass die Berücksichtigung von Menschen mit Behinderungen im politischen Diskurs kein Randthema ist, sondern vielmehr ein integraler Bestandteil der politischen Bildungsarbeit, der in alle Prozessschritte der verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche von Politik bis Wissenschaft verankert werden muss.

Im Fokus der heutigen Veranstaltung steht das Disability Mainstreaming Konzept und dessen Implementierung in der Kölner Stadtverwaltung. Dieser Prozess erfordert ein tiefgreifendes Umdenken und bringt folglich weitreichende Auswirkungen mit sich, die auf alle gesellschaftlichen Bereiche abzielen. Zentrale Aufgabe dabei ist, neue Tendenzen und neue Politikfelder im gesellschaftlichen Zusammenleben wahrzunehmen, sie aktiv mitzugestalten und somit den Abbau von Barrieren zu fördern - nicht nur von physischen oder kommunikativen Barrieren, sondern auch von Barrieren in den Köpfen von Menschen ohne Behinderung. Eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Implementierung des Disability Mainstreaming Konzepts ist daher vor allem die Bereitschaft von Menschen ohne Behinderung, sich auf die Perspektive von Menschen mit Behinderung einzulassen.

Die Partizipation und Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung stellt einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag dar. Die TH Köln hat es sich zur wesentlichen Aufgabe gemacht, eine Organisationskultur zu fördern, in der individuelle, soziale und kulturelle Vielfalt als Bereicherung und Qualitätsmerkmal verstanden wird. Die Hochschule hat sich daher zum festen Ziel gesetzt, die bestehenden Strukturen und Angebote verstärkt an der Vielfalt der Hochschulangehörigen auszurichten und damit die unterschiedlichsten Bedarfe in möglichst inklusiver Weise und auf allen institutionellen Ebenen zu berücksichtigen.

Im Sinne ihres Selbstverständnisses als zivilgesellschaftliche Akteurin strebt die TH Köln mit einer erkenntnis- und lösungsorientierten Anwendung von Wissenschaft danach, Soziale Innovation aktiv mitzugestalten und damit Verantwortung für die Weiterentwicklung der Gesellschaft zu übernehmen. Die TH Köln begreift den Austausch mit und die Einbindung von externen Akteur*innen aus Wirtschaft, Kultur, Politik und Zivilgesellschaft als wesentliche Voraussetzung, um nachhaltige gesellschaftliche Veränderungsprozesse zu gestalten.

Daher freuen wir als Hochschule uns besonders, dass der heutige Fachtag der Stadt Köln in Kooperation mit unserem Kompetenzzentrum für Soziale Innovation durch Inklusion (SIDI) durchgeführt wird und in diesem Rahmen bereits erste Vorstudien für die Entwicklung eines Disability Mainstreaming Ansatzes für die Stadt Köln durch SIDI angelaufen sind!

Die TH Köln trägt damit ihrem Anspruch Rechnung, Wissen für die Gesellschaft wirksam zu machen und als regional ansetzender Innovationsmotor aktiv zur Entwicklung des regionalen Umfeldes beizutragen.

An dieser Stelle möchte ich nun noch all denjenigen danken, die die heutige Veranstaltung möglich gemacht haben, besonders Herrn Dr. Bell und seinem Team für den Vorschlag und den Anstoß der Kooperation zwischen der Stadt Köln und unserem Kompetenzzentrum SIDI. Mein allerherzlichster Dank geht auch an Frau Lachmayr, die die Organisation des heutigen Fachtags verantwortet.

Und nun wünsche ich Ihnen interessante Vorträge, fruchtbare Diskussionen und einen anregenden Austausch. Ich bin überzeugt, dass der heutige Fachtag viele Ideen und interessante Ansätze zur Implementierung und Umsetzung des Disability Mainstreaming Konzepts hervorbringt.

Begrüßungsrede Oberbürgermeisterin Henriette Reker

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Professor Dr. Herzig,

sehr geehrter Herr El Kholy,

sehr geehrter Herr Dr. Spörke,

sehr geehrte Frau Dr. Robinson,

sehr geehrte Frau Möwes,

sehr geehrter Herr Dr. Heinz,

liebe Vertreter*innen aus Verwaltung, Politik und Stadtgesellschaft, sehr geehrte Teilnehmer*innen dieser Fachtagung,

ich stehe heute hier vor Ihnen in zwei Funktionen: Als Vorsitzende der Stadtarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik freue ich mich, dass wir heute diese Fachtagung zum Thema Disability Mainstreaming gemeinsam mit unserem Kooperationspartner, dem Kompetenzzentrum "Soziale Innovation durch Inklusion", hier in den Räumen der Technischen Hochschule Köln durchführen können.

Die Mitglieder der Stadtarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik in Köln fordern die Einführung eines Disability Mainstreaming in der Stadtverwaltung. Sie erwarten damit, dass zukünftig die Belange von Menschen mit Behinderung bei allen Planungen der Stadt Köln von Anfang an beachtet werden.

Bereits zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung am 11. Dezember 2018 hat sich Köln unter dem Titel: "Inklusiv – mitgedacht von Anfang an" mit dem Thema beschäftigt. Hier kamen aus der Stadtverwaltung erste Impulse zu einzelnen Themen der Stadt. Das Gestaltungshandbuch, das die Strategie für die Gestaltung des öffentlichen Raums der Stadt Köln vorgibt, das Rahmenkonzept zum Gender Mainstreaming, das Handlungskonzept zur Kölner Behindertenpolitik und auch das Diversity Konzept – wurde hier vorgestellt. Die aktuelle Diskussion um den möglichen Wegfall von Außenflächen in der Gastronomie zeigt, dass es immer auch konkurrierende Interessen gibt zur  Nutzung des öffentlichen Raumes.

Und dass es noch keineswegs selbstverständlich ist, dass die Belange von Menschen mit Behinderung unstrittig sind. Insofern freue ich mich, dass wir heute die Gelegenheit haben, die verschiedenen Aspekte der hier berücksichtigen Anliegen mit Ihnen als Fachpublikum zu diskutieren.

Darüber hinaus bin ich sehr froh, die Oberbürgermeisterin einer so weltoffenen, bunten und vielfältigen Stadt wie Köln zu sein. In dieser Stadt leben sehr unterschiedliche Menschen, die verschiedene Bedürfnisse haben. Aber eines haben wir gemeinsam: Wir alle lieben diese Stadt und wollen am öffentlichen Leben teilhaben. Damit dies für alle möglich ist, müssen leider immer noch viele bestehende Barrieren beseitigt werden.

Natürlich hat sich in Köln Vieles getan. Die Stadt hat ein mit den Behindertenverbänden abgestimmtes Handlungskonzept zur Kölner Behindertenpolitik erstellt. Und natürlich wird dieses konsequent umgesetzt und regelmäßig aktualisiert.

Ich möchte aber auch nicht verschweigen, dass es weiterhin großen Handlungsbedarf in Köln gibt, bis Inklusion und eine wirklich uneingeschränkte Teilhabe für Menschen mit Behinderung verwirklicht werden können.

Im Dezember 2018 hat das neu gegründete Amt für Integration und Vielfalt seine Arbeit aufgenommen. Teil dieses Amtes sind auch die bisherigen Aufgabenbereichen der Dienststelle Diversity und damit auch die des  Behindertenbeauftragten mit seinen Mitarbeiter*innen.

Mit der Gründung des neuen Amtes möchte ich erreichen, dass die vielen stadtweiten Aktivitäten zu den Themen Integration, Vielfalt und Inklusion noch optimaler gesteuert und gebündelt werden. Ein wichtiger Aspekt bleibt hierbei die Umsetzung und die Weiterentwicklung des Handlungskonzeptes zur Kölner Behindertenpolitik.

Durch die Stärkung der bisherigen Dienststelle im neuen Amt und der Übernahme des Vorsitzes der Stadtarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik sind sehr gute Voraussetzungen geschaffen worden, die Interessen der Menschen mit Behinderung stärker in den Fokus zu rücken.

Als Oberbürgermeisterin dieser Stadt ist es mir wichtig, präventiv, vorausschauend und damit inkludierend zu handeln. Denn es ist eine alte Weisheit, dass es immer teurer ist, Dinge nachträglich anzupassen zu müssen, anstatt sie von Anfang an vorausschauend zu planen und auszuführen.

Die Einforderung von "Disability Mainstreaming" stützt sich auf die UN-Konvention zur Förderung und zum Schutz der Rechte und Würde von Menschen mit Behinderungen. Leider gibt es für diesen internationalen Begriff keine gute Übersetzung in die deutsche Sprache.

"Disability Mainstreaming" formuliert analog zu Gender Mainstreaming und unserem bestehenden Diversity Management Konzept den Auftrag an die Spitze jeder Organisation und an deren Beschäftigte: "Berücksichtigt von vornherein die unterschiedlichen Interessen und Lebenssituationen von Menschen mit und ohne Behinderung! Und zwar in der Struktur, in der Gestaltung von Arbeitsabläufen, in den Ergebnissen, in der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit sowie in der Steuerung."

Dadurch soll das Ziel der Gleichstellung besser erreicht werden. Genau hier wollen wir heute ansetzen. Es soll diskutiert werden, wie dieses Ziel sinnvoll umgesetzt werden kann, ohne Prozesse unnötig zu komplizieren. Wir werden hierzu zwei interessante Impulsvorträge hören. Zum einen wird uns der "Leitfaden zur konsequenten Einbeziehung der Belange von Menschen mit Behinderungen (Disability Mainstreaming)" des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales  vorgestellt. Zum anderen die Studie "Disability Mainstreaming in Berlin – Das Thema Behinderung geht alle an".

Darüber hinaus bin ich sehr auf die Ergebnisse der heutigen Arbeitsgruppen zu drei interessanten Themenfeldern gespannt.

Zusammen mit der Stadtarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik möchte ich Sie ermuntern, heute aktiv den Prozess des "Disability Mainstreamings" zu begleiten. Ich wünsche Ihnen einen interessanten Austausch.

Vielen Dank! 

Impulsreferat "Leitfaden zur konsequenten Einbeziehung der Belange von Menschen mit Behinderungen" - Herr Farid El Kholy, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Referat Va5

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Reker,

sehr geehrte Kolleg*innen,

vielen Dank für die Einladung nach Köln zu ihrer Veranstaltung zum "Disability Mainstreaming in der kommunalen Verwaltung". Es ist einerseits ein guter Zeitpunkt für eine solche Veranstaltung und anderseits ist es für mich als gebürtiger Kölner immer wieder eine Freude nach Hause zu kommen und zu sehen, wie intensiv man sich in Köln behindertenpolitischen Themen widmet und sich die Frage stellt, reicht das Engagement der öffentlichen Verwaltung aus, um eine volle Teilhabe und Partizipation von Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten? Hierbei war es ein guter Auftakt, dass die Stadt Köln das Thema "Disability Mainstreaming in der Verwaltung" im Rahmen der Veranstaltung zum "Tag der Menschen mit Behinderung" im letzten Jahr mit einer interessierten Fachöffentlichkeit diskutiert hat, bevor sich heute Expertinnen und Experten mit der konkreten Implementierung in das Verwaltungshandeln der Stadt Köln befassen.

Vor einigen Monaten hatte ich bereits die Gelegenheit am 2. Dialog des Landschaftsverbands Rheinland in Köln zum Thema "Inklusion und Menschenrechte" teilzunehmen. In den drei Arbeitsgruppen wurden die Themen "Selbstvertretung und Personenzentrierung", "Zugänglichkeit und Barrierefreiheit" sowie "Bewusstseinsbildung und Menschenrechte" diskutiert - dies sind auch zentrale Themen der aktuellen Frageliste des UN-Fachausschusses der UN-Behindertenrechtskonvention an Deutschland. Es ist richtig und wichtig, sich mit diesem Themenkomplex zu befassen, denn die einzelnen Aspekte sind nicht unabhängig voneinander, sondern Teile eines Ganzen und wichtige Pfeiler von Inklusion und Partizipation. Und es entspricht auch dem Verständnis der Bundesregierung, dass Inklusion ein fundamentales Menschenrecht ist.

Warum ein guter Zeitpunkt? Einerseits befinden wir uns aktuell in der zweiten Staatenprüfung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und müssen uns den Fragen des UN-Fachausschusses stellen. Andererseits haben wir am 26. März 2019 das 10. Jubiläum des Inkrafttretens der Konvention in Deutschland gefeiert. Das Inkrafttreten dieses wichtigen Menschenrechtsübereinkommens war ein Meilenstein für den Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik in Deutschland - ein weiterer Schritt vom Fürsorgekonzept zu einem menschenrechtsbasierten und teilhabeorientierten Blick auf Behinderung. Denn nach der neuen menschenrechtlichen Perspektive sind es die gesellschaftlichen Strukturen und Bedingungen die Menschen mit Beeinträchtigungen an der Teilhabe hindern. Erst dadurch entsteht nach dem Verständnis der UN-Behindertenrechtskonvention überhaupt eine Behinderung.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass gesellschaftliches Handeln, insbesondere politisches Handeln, die Belange von Menschen mit Behinderungen angemessen berücksichtigt und damit komme ich zum Disability Mainstreaming als gesellschaftliches Konzept. Dieser Begriff ist jedoch noch relativ neu und hat sich noch nicht im allgemeinen Sprachgebrauch verankert. Das mag daran liegen, dass es keine gute deutsche Übersetzung gibt, sondern es wird vielmehr als international verständliches Schlagwort verwendet und es wird angenommen, dass jeder weiß, was damit gemeint ist.

Historisch ist der Begriff Disability Mainstreaming vom dem ebenfalls nicht übersetzten Konzept des Gender Mainstreaming abgeleitet, das Mitte der 1990er Jahre im Kontext der Entwicklungspolitik in Mode kam. Das Mainstreaming zielt bei unserer Diskussion jedoch darauf ab, dass das Thema Disability in der Mitte der Gesellschaft verankert wird, denn genau dort gehört es hin - unabhängig von "Fallzahlen". Es betrifft fast alle gesellschaftlichen und politischen Bereiche und fordert uns auf, tiefgreifende Veränderungen herbeizuführen - von der Fürsorge, die lange Zeit das vorherrschende Konzept war, zu gesellschaftlicher Teilhabe und Partizipation.

Hierfür muss es rechtzeitig eine Beteiligung von Menschen mit Behinderungen und ihren Verbänden geben, wenn sie davon betroffen sind. Dies ist ein wichtiger Leitgedanke des Nationalen Aktionsplans 2.0 zur UN-BRK: "Nichts über uns ohne uns". Daher ist es auch in der politischen Gestaltung, zum Beispiel der Gesetzgebung wichtig, diesen Beteiligungsgrundsatz anzuwenden, denn Menschen mit Behinderungen als Expertinnen und Experten in eigener Sache, wissen am besten, was für sie wichtig ist. Und das geht weit über die klassische Sozial- und Behindertenpolitik hinaus.

Fast alle Politikbereiche sind für diesen Beteiligungsgrundsatz qualifiziert, zum Beispiel:

  • Gesundheitspolitik (Stichwort: barrierefreie Gesundheitsdienstleistungen/Arztpraxen),
  • Kinder- und Jugendpolitik
  • Bildungspolitik (inklusive Beschulung)
  • Forschungspolitik (Universal Design)
  • Verkehrspolitik (barrierefreie Mobilität)
  • Baupolitik (barrierefreies Wohnen)

In all diesen relevanten Politikbereichen müssen der Status-quo analysiert und die Auswirkungen von Maßnahmen und Gesetzen ("Impact-Faktoren") geprüft werden - falls nötig, muss rechtzeitig gegengesteuert werden, denn nachträgliche Korrekturen sind in der Regel teurer (beispielsweise barrierefreies Bauen).

Ein Zitat von 2004 des ehemaligen Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Karl-Hermann Haack (1998 bis 2005), wird in diesem Kontext immer wieder gerne herangezogen:

Jedwedes politische und gesellschaftliche Handeln soll danach befragt werden, in welcher Weise es zur Gleichstellung und Teilhabe behinderter Menschen beiträgt oder sie verhindert.

Karl-Hermann Haack war 2009, als Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert hat, nicht mehr im Amt. Er war dennoch im Vorfeld bei den Verhandlungen in New York dabei und hat sich über die Selbstverpflichtung der Bundesregierung gefreut, da mit der Konvention der Grundstein für viele wichtige Veränderungen in der Behindertenpolitik in Deutschland gelegt wurde - auch in Bezug auf Partizipation im Sinne des Artikel 4 Absatz 3 der UN-BRK.

Lassen Sie mich zum Leitfaden selbst kommen. Dieser ist ihnen bekannt und hier muss ich nicht viel zum Inhalt sagen. Der Leitfaden soll dabei unterstützen, die Auswirkungen von Verwaltungshandeln auf das Leben von Menschen mit Behinderungen strukturiert zu berücksichtigen. Er dient also als übersichtliche Handreichung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung für ihr tägliches Handeln. Er soll beim Berichtswesen, bei Projektarbeit sowie bei Presse- und Öffentlichkeitsarbeit unterstützen, die Auswirkungen auf die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen angemessen und konsequent zu berücksichtigen.

Ein besonders relevantes Vorhaben ist die Rechtssetzung. Hier kann der Leitfaden am besten unterstützen. Dies ist wichtig, da Rechtssetzung die Grundlage vieler weiterer Vorhaben ist. Daher möchte ich im Folgenden die Partizipationsstandards bei Verfahren der Rechtsetzung ein wenig vertiefter erläutern und mich dabei auf die nationale Ebene beschränken.

Die konsequente und frühzeitige Einbeziehung der Verbände von Menschen mit Behinderungen bei Verfahren der Rechtssetzung ist der Bundesregierung grundsätzlich ein wichtiges Anliegen. Daher haben wir den "Leitfaden der Bundesregierung zur konsequenten Einbeziehung der Belange von Menschen mit Behinderungen" von 2017 gemeinsam mit allen relevanten Bundesressorts und Verbänden erarbeitet. Grundlage für den Leitfaden ist die UN-Behindertenrechtskonvention, die von der Bundesregierung 2009 ratifiziert wurde und die seitdem in Deutschland umgesetzt wird. In der Folge wurde das Behindertengleichstellungsgesetz novelliert, der Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der UN-BRK zur Version 2.0 weiterentwickelt, sowie das Bundesteilhabegesetz geschaffen.

Die sich aus der Konvention ergebenen menschenrechtlichen Verpflichtungen müssen einerseits in nationales Recht umgesetzt werden, sich anderseits aber auch in der täglichen Verwaltungspraxis wiederfinden. Dieses Umdenken ist für einen gewachsenen und so komplexen Verwaltungsapparat, wie wir ihn in Deutschland auf allen Ebenen haben, nicht immer einfach.

Dabei kann ein Leitfaden unterstützen, um

  • verlässliche und nachvollziehbare Verfahren zu sichern und
  • zu eruieren, wie Auswirkungen von administrativen Handeln auf Menschen mit Beeinträchtigungen wirkt, sowie
  • die Frage thematisieren, wie negative "Impacts" vermieden werden können.

Daher muss der Leitfaden bei allen Vorhaben der Bundesregierung, die grundsätzlich die Lebenslage von Menschen mit Behinderungen beeinflussen können, beachtet werden und eine umfassende Analyse muss aufzeigen, wie ihre Belange angemessen berücksichtigt werden können. Hierbei ist die frühzeitige Inanspruchnahme ihres Sachverstands und ihrer Organisationen sowie des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen erforderlich. Ziel ist es, dass Behinderungen, die die Teilhabe erschweren, effizienter vermieden beziehungsweise beseitigt werden.

Die Beteiligung von Zentral- und Gesamtverbänden und Fachkreisen in Gesetzgebungsverfahren unterliegt dabei den Regelungen der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO), welche die Zusammenarbeit und Organisation regelt und für die Durchführung von Gesetzgebungsverfahren prozessuale Vorgaben macht. Zentrale Regelung für die Beteiligung der Verbände und Fachkreise ist Paragraph 47 Absatz 3 GGO, der auf die Regelung in Absatz 1 bezüglich der Beteiligung der Länder und kommunalen Spitzenverbände verweist. Für die Beteiligung der Verbände sind keine konkreten Fristen vorgesehen, sondern es wird eine möglichst frühzeitige Beteiligung angestrebt, wenn ihre Belange berührt sind. Zeitpunkt, Umfang und Auswahl obliegt dabei grundsätzlich dem Ermessen des federführenden Bundesministeriums. In der Praxis werden im Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Verbände - soweit möglich - in sämtlichen Phasen relevanter Vorhaben, einbezogen.

Dies umfasst zum Beispiel auch die Einbeziehung von Vertreterinnen und Vertretern der Verbände von Menschen mit Behinderungen

  • als Expert*innen in Arbeitskreisen, die der Erstellung der Referentenentwürfe vorausgehen,
  • bei der Benennung von Mitgliedern für regelmäßig tagende Gremien, wie zum Beispiel dem Ausschuss zum Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-BRK (NAP-Ausschuss), oder
  • für die neue unabhängige Jury des Bundesteilhabepreises für vorbildliche inklusive Projekte im Rahmen von ISI (InitiativeSozialraumInklusiv) bis hin zur
  • (teilweise langfristig angelegten) Begleitung der Umsetzung von einzelnen Maßnahmen - zum Beispiel der Expertenkreis der Bundesfachstelle Barrierefreiheit, welche im Rahmen der Novellierung des BGG errichtet wurde.

Bei behinderungspolitisch besonders relevanten Vorhaben, wie dem Gesetz zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts oder dem Bundesteilhabegesetz fand ein langfristig angelegter Beteiligungsprozess statt, der umfangreiche Fachgespräche mit Verbänden vor Erstellung des Referentenentwurfs umfasste. Um eine breite Palette an Verbänden und Selbstvertretungsorganisationen mehr Beteiligung zu ermöglichen haben wir die Partizipationsförderung nach Paragraph 19 BGG eingeführt. Mit dem Behindertengleichstellungsgesetz wurde 2016 eine finanzielle Förderung der Partizipation von Verbänden von Menschen mit Behinderungen, insbesondere von Selbstvertretungsorganisationen, bei der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten des Bundes, gesetzlich verankert. Die Erfahrung aus der Vergangenheit zeigt, dass sich häufig lediglich die mitglieder- und finanzstarken Organisationen an politischen Entscheidungsprozessen beteiligen können. Durch die Partizipationsförderung im Rahmen des Partizipationsfonds wollen wir vor allem die politische Teilhabe von Selbstvertretungsorganisationen verbessert. Ziel der Förderung ist es, einer Vielzahl unterschiedlicher Verbänden eine aktive und umfassende Teilhabe an der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten zu ermöglichen. Damit wollen wir die Partizipation von Menschen mit Behinderungen an politischen Entscheidungsprozessen und Maßnahmen fördern. Hier hat der Bund seit 2017 jährlich 1 Million Euro bereitgestellt und für das Haushaltsjahr 2020 setzen wir uns ein diesen Ansatz weiter zu erhöhen. Sie sehen, zur angemessenen Beteiligung von Menschen mit Behinderungen und ihren Verbänden an wichtigen gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen ist ein Disability Mainstreaming eine große Herausforderung, aber auch ein wichtiger Baustein.

Hieran müssen wir auf allen Ebenen der Verwaltung - also Bund, Länder und Kommunen - weiterarbeiten, dabei aber auch nicht vergessen, dass es sich hier um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt. Gehen wir diesen Weg also gemeinsam weiter.

Impulsvortrag "Disability Mainstreaming in Berlin – Das Thema Behinderung geht alle an" - Dr. Michael Spörke (Leiter der Abteilung Sozialpolitik beim Sozialverband Deutschland, SoVD NRW e. V.)

Disability Mainstreaming – Warum brauchen wir das?

  • BRK formuliert das Recht der uneingeschränkten Teilhabe von behinderten Menschen an der Gesellschaft in allen Bereichen von Anfang an – Inklusion
  • BRK konkretisiert und spezifiziert erstmalig die Menschenrechte und Grundfreiheiten bestehender Menschenrechtsverträge für die Lebenssituation von behinderten Menschen und enthält keine Sonderrechte für behinderte Menschen.
  • BRK verpflichtet die Staaten und damit im föderalen System Deutschland auch die Kommunen, die unterschiedlichen Perspektiven von behinderte Menschen zu berücksichtigen und betroffene Menschen und die sie vertretenden Verbände in politische Prozesse einzubeziehen.
  • Umsetzung im Dreiklang: Aktionspläne, behindertenpolitische Vertretungsorgane (Beirat, Beauftragte) und Disability Mainstreaming

Disability Mainstreaming – Wo kommt das her?

  • Gender Mainstreaming: "Ungleichheit von Frauen hat ihre Wurzeln in der Gesellschaft und nicht in der Biologie".
  • Disability Mainstreaming: "Man ist nicht behindert, man wird behindert" - Behinderung ist auch eine Erfahrung von Menschen mit der Gesellschaft und keine natürliche Eigenschaft.

Trotz einiger Unterschiede wurde daher die Idee geboren, die Implementierung von Disability Mainstreaming unter Rückgriff auf die Erfahrungen von Gender Mainstreaming zu fordern.

Disability Mainstreaming – Was ist das?

Jedwedes politisches und gesellschaftliches Handeln soll danach befragt werden, in welcher Weise es zur Gleichstellung und Teilhabe behinderter Menschen beiträgt oder sie verhindert.
Definition von Hermann Haack, früherer Behindertenbeauftragter der Bundesregierung

Disability Mainstreaming ist ein Konzept und ein Instrument. Es ist ein Ansatz, der überall verankert werden soll, nicht nur dort wo in erster Linie die Bedürfnisse behinderter Menschen behandelt werden. Disability Mainstreaming vermeidet nachträgliche, oft kostspielige Korrekturen. Es ist ein Mittel zur Entwicklung einer regionalen Perspektive für Lebensqualität und Daseinsfürsorge im Interesse aller Bürger.

Disability Mainstreaming Prinzip – Beispiele

  • Gesundheitspolitik: die besonderen Anforderungen von behinderten Menschen und Menschen mit chronischen Erkrankungen an das Gesundheitssystem systematisch und bei Gesetzesnovellierungen berücksichtigen.
  • Forschungspolitik: nicht nur zu vermuten, an welcher Forschung Menschen mit Behinderungen Bedarf haben, sondern sie bei Entscheidungsprozessen über Forschungsprogramme einzubeziehen.
  • Technologiepolitik: Geräte werden so konstruiert, dass sie von möglichst vielen Menschen einfach bedient werden können.
  • Entwicklungspolitik: Vergabe von Geldern an Bedingung knüpfen, die Belange von behinderten Menschen von vorneherein zu berücksichtigen.

Disability Mainstreaming – Wie wird es integriert?

Wie kann das Ziel der Inklusion von behinderten Menschen in jedes Verwaltungshandeln integriert werden?

  • alle Verwaltungseinheiten in Disability Mainstreaming involvieren, das heißt Benennung von Inklusionsbeauftragten in allen Bereichen der Stadtverwaltung
  • verpflichtende Prüfung von städtischen Vorhaben auf ihre Auswirkungen für behinderte Menschen, das heißt keine Zeichnung ohne Prüfung.
  • Einführung einer Checkliste Disability Mainstreaming insbesondere für Bereiche, in denen es nicht schon Normen gibt.
  • Disability Mainstreaming ersetzt keinen Behindertenbeauftragten oder –beirat (ohne eine solche Stelle würde Disability Mainstreaming wieder zum Erliegen kommen).
  • regelmäßige gemeinsame Sitzungen zwischen Behindertenbeauftragten und Stadtarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik Köln und Inklusionsbeauftragten
  • Behindertenbeauftragter und Stadtarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik Köln haben in allen Ausschüssen des Rates eine beratende Funktion und Antragsrecht.

Checkliste Disability Mainstreaming

  • Um welche Maßnahme handelt es sich?
  • Auf welche Weise sind Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung unmittelbar oder mittelbar von der Maßnahme betroffen?
  • Welche unterschiedlichen beziehungsweise spezifischen Auswirkungen sind auf Menschen mit körperlicher, seelischer, geistiger oder Sinnesbeeinträchtigung zu erwarten? Wie stellen sich diese Auswirkungen im Einzelnen dar?
  • Welche unterschiedlichen beziehungsweise spezifischen Auswirkungen sind hinsichtlich des Lebensalters zu differenzieren (zum Beispiel Auswirkungen auf Kinder, Jugendliche, Menschen im erwerbsfähigen Alter, hochaltrige Menschen)?
  • Welche Auswirkungen sind im Besonderen auf die Situation von Mädchen und Frauen mit Behinderung zu erwarten?
  • Inwiefern trägt die Maßnahme zur sozialen Inklusion bei oder wirkt dieser möglicherweise entgegen?
  • Inwiefern wird insbesondere der Barrierefreiheit Rechnung getragen?
  • Wie können eventuelle Mehrfachdiskriminierungen vermieden werden?
  • Inwieweit müssen die Stadtarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik und Organisationen der Behindertenselbsthilfe/Behindertenhilfe beteiligt werden?
  • Steht die Maßnahme im Einklang mit den einschlägigen Rechtsvorschriften wie dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), dem BGG NRW?
  • Inwieweit muss die Maßnahme in Anbetracht der vorangegangenen Prüfung nachgebessert, grundlegend neu formuliert oder verworfen werden?
  • Welche weiteren Schritte sind diesbezüglich einzuleiten?
  • Wie kann die Sensibilisierung der Verwaltungsmitarbeiter für die Belange von behinderten Menschen erreicht beziehungsweise verbessert werden?

Schulungen mit den Inhalten:

  • gesetzliche Grundlagen, insbesondere die Gedanken und Prinzipien der UN-BRK
  • Umgang mit Menschen mit Behinderung – Behinderung als Ausdruck von Vielfalt – Anerkennung der Fähigkeiten von Menschen mit Behinderung
  • Universelles Design
  • Verfahren zur Anwendung der Checkliste Disability Mainstreaming, sobald diese vorliegt
  • Informationen über gute Praxisbeispiele, die zeigen, wie Gleichstellung von behinderten Menschen gelingen kann

Diese Fortbildungsmaßnahmen sind vorzugsweise von Menschen mit Behinderung, durchzuführen.

Aktionsplan

Aktionsplan auf kommunaler Ebene sollte enthalten:

  • Zielsetzungen der BRK und Festlegung der Handlungsfelder im kommunalen Bereich
  • Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation
  • Zielsetzungen auf kommunaler Ebene
  • Maßnahmen, Aufgabenverteilung und Fristsetzungen
  • Sicherstellung der Überprüfung der Umsetzung und der Fortschreibung des Aktionsplanes

Die Umsetzung des Aktionsplans ist im Sinne des Disability Mainstreaming eine Querschnittsaufgabe für alle Fachbereiche.

Die Entstehung und der Inhalt des Handlungskonzepts für die Stadt Köln scheint mangelhaft zu sein (siehe Forderungen der stimmberechtigten Mitglieder der Stadtarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik Köln)

Kommentierung aus der Sicht der Verwaltungsreform - Dr. Rainer Heinz (Leiter des Referates für Strategische Steuerung)

Der Anspruch der Stadt Köln lautet:

Die Stadt Köln ist eine professionelle Dienstleisterin, eine attraktive Arbeitgeberin und eine geschätzte Partnerin für Politik und Stadtgesellschaft.

Der Ansatz der Verwaltungsreform:

Die Bürgerinnen und Bürger sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind der zentrale Bezugspunkt der Verwaltungsreform.

Akteursansatz erfordert Differenzierung

Es gibt nicht die Bürgerinnen und Bürger oder die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es gibt vielmehr eine Vielfalt an Akteursgruppen mit ihren unterschiedlichen

  • Lebenssituationen
  • Sichtweisen und Interessen
  • Bedürfnissen und Bedarfen
  • Fähigkeiten

Was muss die Verwaltungsreform leisten?

Differenzierung

Eine erfolgreiche Verwaltung bezieht die vielfältigen Akteursgruppen mit ihren Belangen in ihr Verwaltungshandeln angemessen ein. Menschen mit Behinderung sind zwar "nur" eine Akteursgruppe, aber

  • in allen Lebensbereichen relevant und wachsend
  • selbst heterogen

Disability Mainstreaming ist grundsätzlich und methodisch – wie Gender Mainstreaming – "nur" ein, aber ein wichtiger "Fall" einer anzustrebenden Routine der Verwaltung.

Management

Eine erfolgreiche Verwaltung bezieht unterschiedlicher Akteursgruppen mit ihren Belangen in jeder Phase des Verwaltungshandelns ein. Disability Mainstreaming muss im gesamten Management-Prozess verankert werden.

Ganzheitlich

Verwaltungsreform und Disability Mainstreaming erfordern ein ganzheitliches Vorgehen in allen fünf Handlungsfeldern

  • Kunden- und Bürgerzufriedenheit
  • Wirksame und effiziente Strukturen und Prozesse
  • Zielbezogene Steuerung
  • Qualifizierte Organisationskultur und Führung
  • Innovation, Lernende Organisation

Akteursbezogene Methoden

  • Design-Thinking/Servicedesign: Das Ziel ist die konsequente Ausrichtung der Leistungen und Standards auf die Nutzerinnen und Nutzer. Hierzu werden Akteursgruppen in Form konkreter "Personas" definiert, aus deren Perspektive das Angebot gestaltet wird
  • Projekt: Kultur – Förderung kultureller Teilhabe: Durchführung von drei speziell gestalteten Beteiligungsverfahren unter anderem unter Einbezug von Menschen mit Behinderung

Beteiligung

Menschen mit Behinderung sind mehr als ein wichtiger Bezugspunkt. Disability Mainstreaming wird umso erfolgreicher, je mehr Menschen mit Behinderung aktiv und von Beginn an in alle Phasen des Verwaltungshandels einbezogen werden. Disability Mainstreaming hat nicht nur Teilhabe zum Ziel, sondern ist zugleich Mittel und Erfolgsfaktor.

Resümee

Disability Mainstreaming

  • ist ein Erfolgsfaktor einer für Bürgerinnen und Bürger sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter "erfolgreichen" Verwaltung.
  • ist grundsätzlich in den Zielen und Methoden der Verwaltungsreform angelegt.
  • muss den gesamten Management-Zyklus des Verwaltungshandelns durchdringen.
  • erfordert eine ganzheitliche Veränderung über alle Handlungsfelder der Verwaltungsreform.
  • macht Betroffene von Beginn an zu Beteiligten.

Ergebnisdokumentation der Arbeitsgruppe 1: Wie kann Disability Mainstreaming in die Sozialverwaltung eingebunden werden?

Die Arbeitsgruppe wurde von Dr. Katja Robinson als Leiterin des Amtes für Soziales, Arbeit und Senioren der Stadt Köln geleitet. Die Moderation übernahmen die Mitglieder der Stadtarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik Herr Ladenberger (ZSL Köln), Frau Schmitz (PSAG Köln) und Herr Schaefer (DRK Köln)

1. Was hat das Thema der Arbeitsgruppe mit Disability Mainstreaming zu tun?

Frau Dr. Robinson stellte zu Beginn die Bedeutung für die Stadtgesellschaft dar. Ungefähr 8,4 Prozent der Kölner Bevölkerung sind schwerbehindert entsprechend der Vorgaben, von diesen sind wiederum zirka 50 Prozent im Seniorenalter. Ihrem Amt kommt somit in der Frage der Berücksichtigung der Belange von Menschen mit Behinderungen innerhalb der Stadtverwaltung eine zentrale Bedeutung zu. Sie möchte ihrem Amt bei der Einführung eines Konzeptes zum Disability Mainstreaming deshalb eine Pilotfunktion zusprechen.

Als erste Handlungsschritte sieht sie:

  • Die Erarbeitung einer gemeinsamen Vision/Zielvorstellung
  • Konsequent im Arbeitsalltag die Belange von Menschen mit Behinderungen berücksichtigen/ einbeziehen bei zum Beispiel
    • Teambuilding-Prozessen
    •  Projektplanung
    •  Verfahrensbeschreibungen
    •  Digitalisierungsprozessen und vieles mehr
  • Den Umsetzungsprozess am Leitfaden des Arbeitsministeriums und den Ergebnissen der "Berliner Studie" orientieren:
    • Gleichstellungspolitik sollte zur Aufgabe aller werden
    • Verpflichtende Prüfung von Vorhaben auf ihre Auswirkungen für Menschen mit Behinderung
    • Bewusstseinsbildung und Schulungen aller Mitarbeitenden
    • Öffentlichkeitsarbeit, um das Thema Behinderung sichtbar zu machen  

Abschließend betonte sie den Gewinn für die ganze Stadtgesellschaft durch die Einführung eines Disability Mainstreaming.

2. Welche Hauptforderungen wurden von der Arbeitsgruppe erarbeitet?

  • Von den Mitarbeitenden der Sozialverwaltung wird ein "Blick für die Menschen mit und ohne Behinderungen" erwartet.
    Das heißt unter anderem:
    • wertschätzender Umgang mit Antragstellenden
    • Sensibilität für die Belange von Menschen mit Behinderungen
    • Empathie
    • Leistungsberechtigte ist gleichwertige Gegenüber
    • Zeit für Beratung
    • Blick auf alle Einschränkungen
    • Offenheit und Freundlichkeit der Mitarbeitenden
  • Schaffung von Strukturen in der Sozialverwaltung, die einem Disability Mainstreaming förderlich sind.
    Das heißt unter anderem:
    • kürzere Bearbeitungszeiten, da häufig existenzielle Themen für die Betroffenen
    • gute Vernetzung der Mitarbeitenden der Stadtverwaltung
    • Zugangswege vereinfachen
    • mehr Klarheit über Zuständigkeiten
    • aktive Beratungsangebote
    • weniger Wechsel in der Zuständigkeit - "personalisierte Sachbearbeitung" - Übergabe-Management bei Nichtzuständigkeit
    • Aus- und Weiterbildung der Mitarbeitenden der Stadtverwaltung bezüglich Formen der Teilhabeeinschränkung
  • Die Basics im Arbeitsalltag müssen stimmen.
    Das heißt unter anderem:
    • in Großgebäuden Leitsysteme anwenden
    • Anträge in leichter Sprache, auch digital
    • gegebenenfalls Einsatz von Gebärdendolmetschenden und Induktionsschleifen
    • so wenig "Amtsdeutsch" wie möglich - Leichte Sprache nutzen
    • Einsatz von technischen Hilfsmittel zur Kommunikation

3. Was muss für eine Umsetzung von Disability Mainstreaming getan werden?

  • Inklusion als übergeordnetes Ziel in der gesamten Verwaltung und jedem Amt durch Ratsbeschluss festlegen, ergänzt durch die Erteilung eines Arbeitsauftrag an die Stadtverwaltung zur Erarbeitung eines Umsetzungskonzeptes zum Disability Mainstreaming
  • die Sozialverwaltung sollte die Federführung des Projektes für die Gesamtstadtverwaltung haben
  • Entwicklung eines Leitfadens zum Disability Mainstreaming im Pilotamt
  • Menschen mit verschiedenen Behinderungen sollten als Expertinnen und Experten in eigener Sache am Prozess beteiligt werden
  • interne Aufklärung darüber, welche Vorteile bringt die Einführung des Disability Mainstreaming
  • Prioritäten setzen und an diesen arbeiten
  • auch im Prozess ist Leichte Sprache Standard

Ergebnisdokumentation der Arbeitsgruppe 2: Wie kann Disability Mainstreaming in die Bauverwaltung eingebunden werden?

Die Arbeitsgruppe wurde von Martin Lersmacher als Vertreter der Gebäudewirtschaft der Stadt Köln geleitet. Die Moderation übernahmen Dr. Klara Groß-Elixmann und Frank Opper vom Kompetenzzentrum SIDI (Soziale Innovation durch Inklusion) der TH Köln. Frank Opper ist Architekt und Sachverständiger für barrierefreies Bauen.

1. Was hat das Thema der Arbeitsgruppe mit "Disability Mainstreaming" zu tun?

Der Experte Martin Lersmacher verdeutlichte, dass 2barrierefreies Bauen für die Gebäudewirtschaft das Thema des nächsten Jahrzehnts" ist und weiter Bedeutung gewinnen wird. Die Verbindung zu einem Konzept "Disability Mainstreaming" ist damit klar: Die Qualitätssicherung der Barrierefreiheit muss von Anfang an passieren und daher schon bei Wettbewerben oder Vorplanungen Berücksichtigung finden. Bereits existierende Anknüpfungspunkte für "Disability Mainstreaming" sind:

  • Die Beteiligung des Arbeitskreises Barrierefreies Köln als Fachleute in eigener Sache ist für die Gebäudewirtschaft enorm wichtig.
  • Die Prinzipien der Barrierefreiheit (Auffindbarkeit, Zugänglichkeit, Nutzbarkeit) werden bereits in der Planung und Umsetzung von Vorhaben berücksichtigt.
  • Der Paradigmenwechsel von einer Bedarfsplanung (behindertengerechtes Bauen) hin zu einer Angebotsplanung (barrierefreies Bauen) wird ausgebaut.
  • Die Festlegung allgemeingültiger Ausbaustandards zusammen mit Organisationen von Menschen mit Behinderung.
  • Die Beteiligung von Behindertenorganisationen am Planungsprozess durch regelmäßig stattfindende Besprechungen.  

2. Welche Hauptforderungen wurden von der Arbeitsgruppe erarbeitet?

  • In den Dezernaten müssen Stabsstellen mit "Wachhund-Funktion" eingerichtet werden, die Disability Mainstreaming-Maßnahmen begleiten und umsetzen. Diese Positionen müssen mit Befugnissen ausgestattet sein, um gegen Missstände effizient vorgehen zu können.
  • Die Ausbildung von Planerinnen und Planern sowie die Weiterbildung von kommunalen Mitarbeitenden muss für die Belange von Menschen mit Behinderungen sensibilisieren und die Umsetzung von Inklusion vorantreiben.
  • Es muss ein Konzept erarbeitet werden, mit dem Disability Mainstreaming wirklich in die Verwaltung eingebracht werden kann.
  • Es muss transparent sein, wie sich konkrete Genehmigungsverfahren gestalten und wie der rechtliche Rahmen eingehalten wird.

3. Was muss für eine Umsetzung von Disability Mainstreaming getan werden?

  • Die Spannung zwischen Inklusion und Sonderrechten muss im Einzelfall flexibel hinterfragt werden. So könne die Toilettenfrage im Gebäude einer Schule auch so gelöst werden, dass die regulären Toilettenanlagen für Schülerinnen und Schüler barrierearm gestaltet werden, sodass sie von mehr Schülerinnen und Schülern genutzt werden können. Die vorgeschriebene Behindertentoilette könne schließlich auch als stigmatisierendes Sonderrecht wahrgenommen werden.
  • Baukontrolleure müssen auch in der Ausführung von Gebäuden einbezogen werden, damit die Umsetzung der (barrierefreien) Planung auch barrierefrei ist.
  • Es dürfen nicht nur die Entwürfe geprüft werden, sondern die Umsetzung der Entwürfe und die Barrierefreiheit des Ergebnisses sind ebenfalls abzunehmen.
  • Planerinnen und Planer dürfen die Gestaltung von Gebäuden nicht ohne die Nutzung planen.

Ergebnisdokumentation der Arbeitsgruppe 3: Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung der Verwaltung auf Menschen mit Behinderung?

Die Arbeitsgruppe wurde von Sabine Möwes, Leiterin der Stabsstelle Digitalisierung der Stadt Köln geleitet. Die Moderation übernahmen Andrea Kurtenacker und Petra Winkelmann vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Kompetenzfeld berufliche Teilhabe und Inklusion.

1. Was hat das Thema der Arbeitsgruppe mit Disability Mainstreaming zu tun?

Die Dienstleistungen der Stadt Köln für die Bürger und Bürgerinnen und die Unternehmen werden zunehmend digitalisiert. Die Stabsstelle Digitalisierung steuert bereits die Strategie zur Verwaltungsdigitalisierung. Durch die Digitalisierung entstehen sowohl Chancen als auch Risiken im Prozess des Disability Mainstreamings. Diese sollen erkannt, kommuniziert und rechtzeitig an die Bedarfe der Beteiligten angepasst werden.

2. Welche Hauptforderungen wurden von der Arbeitsgruppe erarbeitet?

  • Alle Gruppen von Menschen mit Behinderung müssen mitgedacht werden.
  • Alle Zugangskanäle zu Informationen sollen berücksichtigt werden (Print, Audio, Videos, Gebärde)
  • Barrierefreiheit muss gewährleistet sein.
  • Für ältere Menschen muss der Zugang zu den Dienstleistungen möglich sein.
  • Für Menschen, die komplexe Zusammenhänge nicht gut verstehen, muss der Zugang möglich sein.
  • Sind die Zugangsmodalitäten für die Bürger zu kostenintensiv, soll die Stadt Köln finanziell fördern oder andere niederschwellige Zugänge schaffen.

3. Was muss für eine Umsetzung von "Disability Mainstreaming" getan werden?

  • Für Transparenz im Prozess sorgen
  • Praktiker am Prozess beteiligen, Bedarfe berücksichtigen
  • Kommunikations- und Informationsprozesse etablieren
  • Regelmäßiger Austausch aller Stellen organisieren (zum Beispiel Jour Fixe)

Ergebnisse der Expertinnen- und Experten-Interviews in der Stadtverwaltung Köln

Seit 2016 existiert an der Technischen Hochschule (TH) Köln ein interdisziplinäres Kompetenzzentrum, das Inklusion als Voraussetzung Sozialer Innovation versteht und erforscht.

Dieses Zentrum kooperiert mit dem Behindertenbeauftragten der Stadt Köln, Dr. Günter Bell, Amt für Integration und Vielfalt, um zu überprüfen, ob Disability Mainstreaming als neues Konzept für die Verwaltungsprozesse geeignet ist, die Belange von Menschen mit Behinderung in der Stadt Köln konsequent und durchgängig zu berücksichtigen.

Als Interviewerin befragte Dr. Klara Groß-Elixmann (TH Köln, Kompetenzzentrum SIDI) fünf Expertinnen und Experten der Kölner Stadtverwaltung. Sie wurden um eine Einschätzung des Bedarfs eines solchen Konzepts gebeten. 

Das Ergebnis wurde in einem Poster dokumentiert:

Poster Disability Mainstreaming - Ergebnisse der Interviews mit Expertinnen und Experten der Kölner Stadtverwaltung
PDF, 97 kb
Weitere Informationen zum Kompetenzzentrum Soziale Innovation durch Inklusion (SIDI)

Ausblick

Auf Anregung der stimmberechtigten Mitglieder der Stadtarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik hat sich die Verwaltung auf den Weg gemacht, die Belange von Menschen mit Behinderung frühzeitig in ihr tägliches Handeln zu integrieren. Mit der Einführung des Instrumentes Disability Mainstreaming soll dafür gesorgt werden, dass zukünftig die Belange von Menschen mit Behinderung bei allen Planungen von Anfang an beachtet werden.

Mit dieser allgemeinen Bekundung des guten Willens allein ist es aber nicht getan. Es kommt darauf an, diese Aufgabe in konkretes Verwaltungshandeln zu übertragen. Die Tagung hat hierzu wichtige Anregungen gegeben und dazu beigetragen, die Aufgabe zu konkretisieren. Aus diesem Grund soll zweigleisig weitergearbeitet werden:

Zum einen werden in 2020 Pilot-Ämter im Rahmen der Verwaltungsreform mit dem Instrument des Disability Mainstreaming Erfahrungen sammeln und diese auswerten.

Zum anderen wird bei der Erarbeitung der Fortschreibung des Handlungskonzeptes zur Kölner Behindertenpolitik unter anderem die Frage verfolgt werden, wie das Instrument eines Disability Mainstreaming nutzbringend angewandt werden kann. Konkret soll darauf geachtet werden, dass das Instrument Disability Mainstreaming als Schablone über alle Maßnahmen gelegt wird. Disability Mainstreaming ist eine Querschnittsaufgabe, die nur umgesetzt werden kann, wenn sie auf allen Ebenen und in allen Bereichen eingeführt wird. Das Handlungskonzept zur Kölner Behindertenpolitik ist dafür ein optimaler Weg.  

Derzeit prüft die Verwaltung, ob der Umsetzungsprozess der Pilot-Ämter durch eine externe Beratung begleitet und bei der Evaluierung unterstützt werden kann.

Die bei der Vorbereitung und Durchführung der Tagung begonnene Zusammenarbeit der Verwaltung mit dem Kompetenzzentrum Soziale Innovation durch Inklusion der TH Köln soll fortgesetzt werden.

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