Wir präsentierten herausragende Verkehrslösungen europäischer Städte

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Im Jahr 2015 haben wir gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer zu Köln und dem "KAP Forum – Architektur, Technologie, Design" herausragende Verkehrslösungen europäischer Städte präsentiert. Die sechsteilige Reihe "Kölner Perspektiven zur Mobilität" beschäftigte sich mit der zukünftigen Gestaltung der städtischen Mobilität. Fünf international anerkannte Expert*innen wurden zum Gespräch nach Köln eingeladen und berichteten über ihre Erfahrungen, bevor die Reihe im Herbst mit einer Podiumsdiskussion abgeschlossen wurde.

Wir strebten damit an, bei der Ausarbeitung eines eigenen Verkehrskonzepts von der Erfahrung anderer Städte profitieren zu können. Es ging dabei besonders um die Fragen, wie die berechtigten Ansprüche und Wünsche an den Verkehr der Zukunft in Einklang gebracht werden können, mit welchen Herausforderungen zu rechnen ist und welche Weichenstellungen für Veränderungen erforderlich werden.

Vorträge der internationalen Expert*innen

Ruedi Ott, Zürich

Franz-Josef Höing, Beigeordneter für Stadtentwicklung, Planen und Bauen, eröffnete am 13. April 2015 im Forum Volkshochschule die "Kölner Perspektiven 2015".

Den Anfang machte Ruedi Ott mit dem Vortrag "Eine bestands- und verträglichkeitsorientierte Mobilitätsstrategie - Das Beispiel Zürich". Diplom Ingenieur Ott hat insgesamt vierzig Jahre lang im Tiefbauamt an Zürichs erfolgreicher Verkehrspolitik mitgearbeitet. Zürich zählt weltweit zu den Städten mit höchster Lebensqualität, und Lebensqualität hat zu tun mit Sicherheit und Aufenthaltsqualität. Sicherheit und Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum werden wesentlich bestimmt durch die Verkehrsplanung. In der Schweiz läuft nichts, was der "Souverän", also das stimmberechtigte Volk, nicht in Abstimmungen beschlossen hat.

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Ruedi Ott bei seinem Vortrag

Der Souverän macht Druck,

sagte Ott deshalb gleich zu Anfang. Die Bürgerinnen und Bürger denken und entscheiden dabei fortschrittlicher als konservative Politikerinnen und Politiker vermuten. Immer wieder tauchte im Vortrag das "Volks-Ja" zu einzelnen Maßnahmen auf, etwa das Volks-Ja zur Förderung des Öffentlichen Verkehrs, des Fuß- und des Velo-Verkehrs. Weit zurück liegt schon ein entschiedenes "Volks-Nein" zu unterirdischen Lösungen des Öffentlichen Verkehrs: Die Züricherinnen und Züricher haben sich im Jahr 1973 grundsätzlich gegen den Bau einer U-Bahn ausgesprochen.

Zürich ist daher heute "Tram-Stadt". Straßenbahnen und Busse bilden das Rückgrat des innerstädtischen Verkehrs, in der Innenstadt soll keine Haltestelle weiter als 300 Meter Fußweg vom Ausgangs- oder Zielpunkt entfernt sein. Ein intelligentes System garantiert Bussen und Bahnen Grün an jeder Ampel. Der innerstädtische Öffentliche Verkehr ist eng vernetzt und vertaktet mit dem regionalen ÖV und mit der Schweizer Bundes Bahn (SBB). Dabei zählt weniger die absolute Geschwindigkeit der Bahnen als vielmehr Pünktlichkeit und Verlässlichkeit der Verbindungen. Wichtig ist die Zeit, die man für den Weg von Haustür zu Haustür tatsächlich braucht.

Jede Autofahrerin, jeder Autofahrer und jeder Nahverkehrs-Passagier ist zuerst einmal Fußgängerin und Fußgänger.

Der Fuß ist das Maß, nach dem sich die Verkehrsplanung richten muss,

sagt Ruedi Ott. Die Züricher Verkehrsplanung sieht ein enges und gleichberechtigtes Miteinander aller Verkehrsformen vor. Eine ungehinderte Mobilität im begrenzten urbanen Raum lässt sich insbesondere durch die Förderung der nichtmotorisierten Verkehrsarten (Fußgängerinnen, Fußgänger, Velofahrerinnen und Velofahrer) gewährleisten. Der motorisierte Individualverkehr soll daher - laut Beschluss einer entsprechenden Volksabstimmung - nochmals deutlich vermindert werden, von etwa 30  Prozent aller Wege auf nur noch 20 Prozent bis zum Jahr 2025. Die Zahl der Parkplätze in der Innenstadt wird stabil auf dem Stand von 1995 eingefroren, das heißt wenn neue Parkplätze gebaut werden, werden anderswo bestehende Parkplätze entfernt. In der Innenstadt mit ihrer besonderen ÖV-Dichte werden bei Bauvorhaben zudem deutlich weniger Parkplätze verlangt als in schlechter erschlossenen Randbezirken. Die enge Vernetzung im Verkehr findet ihre Entsprechung in einer Vernetzung und Feinabstimmung zwischen den einzelnen Teilen der Stadtverwaltung und in einer gemeinsamen Zuständigkeit von unterschiedlichen Ämtern (Departements) für ressort-übergreifende Aufgaben.

Zum Schluss hat Ruedi Ott drei extreme Verkehrsbilder für das Jahr 2050 skizziert, die aufzeigen sollen, von welchen Rahmenbedingungen das Verkehrsgeschehen abhängig ist und welche Ausprägungen es annehmen kann.

  • Version eins: die Stadt quillt über vor Verkehr, jeder macht sich mit jedem möglichen Vehikel auf seinen Weg; "Individualität" nannte Ott diesen Zustand.
  • Version zwei nannte er "Ressourcenknappheit": es fahren fast keine Autos, Fußgängerinnen, Fußgänger, Radfahrerinnen und Radfahrer beherrschen das Stadtbild und es gibt viel weniger öffentlichen Verkehr als heute.
  • Version drei: "Online und Desintegration"; der öffentliche Raum ist unbelebt und unsicher, man kommuniziert übers Netz und macht sich gar nicht mehr auf den Weg.

Im Stadtverkehr der Zukunft werden sich Elemente aus diesen drei Bildern voraussichtlich überlagern – wie stark die einzelnen Aspekte ausgeprägt sein werden, das hängt von den heutigen Weichenstellungen der städtischen Verkehrsplanung ab. Diese hat deshalb auch die Aufgabe, durch zielgerichtetes Mobilitätsmanagement auf das Verhalten der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer einzuwirken.

Das Publikum dankte mit herzlichem Beifall für einen hoch informativen Einblick in die wegweisende Verkehrsplanung der Stadt Zürich.

Dass in Zürich alles reibungslos ineinanderzugreifen und zu funktionieren scheint, hat Jörg Hamel, den Geschäftsführer des Einzelhandels- und Dienstleistungsverband Aachen-Düren-Köln e. V. (EHDV) besonders beeindruckt. Zusammen mit  Joachim Schalke, dem Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs Köln e. V. (ADFC), hatte Herr Hamel die Aufgabe, den Vortrag kurz aus Kölner Sicht zu kommentieren. Die gute Abstimmung des Zürcher Verkehrskonzepts innerhalb der Region ist etwas, das Hamel gern auf Köln und sein Umland übertragen möchte. Joachim Schalke, der zweite Kommentator, kannte den Zürcher Verkehr aus eigener Anschauung und war froh, Ruedi Ott als einen der Urheber des Zürcher Verkehrskonzepts in Köln zu erleben; er findet vor allem vorbildlich, wie in Zürich der sogenannte Langsam-Verkehr (also Fußgängerinnen, Fußgänger, Radfahrerinnen und Radfahrer) ernst genommen wird und eine gleichwertige Rolle spielt. Joachim Schalke, im Hauptberuf Polizist, sähe es gern, wenn die Stadt Köln sich an Zürichs Verkehrs-Konzepten ein Beispiel nähme.

Angela Winkler, Wien

Dr. Ulrich Soénius, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer zu Köln, eröffnete am 8. Juni 2015 die zweite Veranstaltung der Reihe "Kölner Perspektiven zur Mobilität". Etwa 150 Interessierte waren der Einladung in das Forum Volkshochschule im Rautenstrauch-Joest Museum gefolgt.

Angelika Winkler, stellvertretende Leiterin der Magistratsabteilung Stadtentwicklung und Leiterin des Referats für Mobilitätsstrategien der Stadt Wien, stellte das Fachkonzept Mobilität der Stadt Wien vor. Es trägt den Slogan "miteinander mobil".

Wien ist eine wachsende Stadt mit derzeit 1,8 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Die wachsende Bevölkerung stellt für die bestehenden Mobilitätsstrukturen der österreichischen Hauptstadt ebenso eine Herausforderung dar, wie die zunehmende Bedeutung Wiens als Drehscheibe zwischen Mitteleuropa und den ost- und südosteuropäischen Mitgliedsstaaten infolge der Erweiterung der Europäischen Union.

Mit diversen Verkehrskonzepten hat Wien in der Vergangenheit versucht, den sich jeweils stellenden Herausforderungen im Verkehrssektor strategisch zu begegnen. Der letzte Masterplan Verkehr datierte aus dem Jahr 2003. Allen Konzepten gemein war eine relativ starre Orientierung an bestimmte, zumeist zahlenbasierte Zielvorgaben.

Das Besondere am Fachkonzept Mobilität der Stadt Wien

Das neue Fachkonzept Mobilität unterscheidet sich im Ansatz von den alten Konzepten, indem es qualitative Ziele in den Fokus rückt. Um welche Werthaltung geht es und was bedeutet dies für die Qualitäten der einzelnen Mobilitätsangebote? Ein großer Vorteil dieser Betrachtungsweise ist, dass das Konzept bei neuen, nicht absehbaren Entwicklungen nicht hinfällig wird, sondern flexibel auf Neues reagieren und diese Entwicklungen integrieren kann.

Außerdem ist das Fachkonzept kein isoliertes, sektorales Konzept. Es ordnet sich vielmehr in die Rahmenstrategie "Smart City Wien" ein. Dies ist eine langfristige Dachstrategie, welche die Politik der Stadt für die nächsten Jahrzehnte als Antwort auf aktuelle und globale Herausforderungen definieren soll und dabei auf Ressourcenschonung, Lebensqualität und Innovation setzt. Im Stadtentwicklungsplan "STEP 2025" wird diese Strategie auf den Bereich Stadtentwicklung runtergebrochen und im Fachkonzept Mobilität für den Verkehrssektor konkretisiert.

Bemerkenswert ist, dass es dabei weniger um die Entwicklung konkreter Pläne geht, sondern vielmehr Handlungen und Prozesse im Vordergrund stehen. Diese Aktionsorientierung, wie es Frau Winkler nennt, bedeutet, dass man besser funktionierende Prozesse stärkt und Dinge "werden lässt", die umsetzbar sind, anstatt sich an Plänen abzuarbeiten, deren Umsetzung - mehr als - ungewiss erscheint.

Dabei werden möglichst alle Akteurinnen und Akteure, die auf dem Feld der Mobilität mitspielen, in den Blick genommen, also die Stadtpolitik, die einzelnen Stadtbezirke, die unterschiedlichen Magistrate und deren Abteilungen, die Fachöffentlichkeit, die Bildungseinrichtungen, die Wirtschaft und natürlich auch die Bürgerinnen und Bürger, die organisierte Zivilgesellschaft und Interessenvertretungen. Der Blick geht dabei auch über die Stadtgrenzen hinaus in das benachbarte Bundesland Niederösterreich.

Ziel des Konzeptes

Ganz ohne konkrete Ziele kommt aber auch das Wiener Fachkonzept Mobilität nicht aus. Diese sind jedoch Ausdruck einer Werthaltung. Es wird angestrebt, den Anteil der Wege, die im Umweltverbund - das heißt zu Fuß, mit dem Rad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln - zurückgelegt werden, deutlich zu steigern. 1993 lag der Anteil von zu Fuß Gehenden, Radfahrenden sowie Nutzerinnen und Nutzern öffentlicher Verkehrsmittel bei 60 Prozent, 2012 bereits bei 73 Prozent. Bis 2025 soll dieser Anteil auf 80 Prozent erhöht werden. Im Umkehrschluss heißt dies, dass dann nur noch jeder fünfte Weg in Wien mittels motorisierten Individualverkehrs zurückgelegt werden soll.

Um dieses Ziel zu erreichen, sollen alle Maßnahmen zur Weiterentwicklung des Mobilitätsangebots an sechs Qualitäten ausgerichtet werden: Mobilität sollte effizient mit Ressourcen umgehen, ökologisch sein und zugleich robust, also verlässlich auch in Krisenzeiten und auch ohne den Besitz von eigenen Fahrzeugen funktionieren. "Nutzen statt besitzen" ist hier das Stichwort. Carsharing-Angeboten und Fahrradverleihsystemen kommen demnach eine besondere Bedeutung zu. Kompakte Mobilität bedeutet, möglichst kurze Wege zwischen Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Besorgungen zu schaffen. Unter dem Stichwort fair versteht das Konzept unter anderem eine Aufteilung des Straßenraums unter den einzelnen Verkehrsmitteln, die mehr als bisher ihrer tatsächlichen Bedeutung entspricht. Derzeit wird nur ein Drittel aller Wege in Wien mit dem Auto zurückgelegt, aber zwei Drittel des Straßenraums sind dem Auto vorbehalten. Mobilität soll auch gesund sein. Das bedeutet, neben einer kontinuierlichen Erhöhung der Verkehrssicherheit, vor allem eine Verbesserung der individuellen Gesundheit durch vermehrtes Radfahren oder zu Fuß gehen.

Einige Beispiele

An Beispielen macht Frau Winkler deutlich, wie sich diese Qualitäten in der Wirklichkeit niederschlagen. So plant Wien als Leuchtturmprojekte, die den Wandel deutlich machen sollen, beispielsweise drei Flaniermeilen, auf denen dem Fußverkehr gegenüber den anderen Verkehrsmitteln durch eine entsprechende Straßenraumgestaltung Priorität gegeben werden soll. Außerdem sollen drei Radlangstrecken verschiedene Außenbezirke der Stadt mit dem Zentrum verbinden, was das Zurücklegen auch von größeren Distanzen mit dem Rad komfortabel ermöglichen soll.

Auch das Netz des Öffentlichen Personennahverkehrs soll weiter ausgebaut und sinnvoll ergänzt werden. Neue U-Bahn- und Tramlinien sollen Netzlücken schließen, die Straßen entlasten und gleichzeitig eine bessere Verknüpfung mit dem Regional- und Fernverkehr der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB) herstellen. Die ÖBB stärkt wiederum mit der Errichtung eines zentralen Durchgangsbahnhofs die nationale wie internationale Erreichbarkeit Wiens und sorgt gleichzeitig für eine Entlastung der städtischen Infrastrukturen.

Auch das Netz für den motorisierten Verkehr wird selbstverständlich weiterentwickelt. Neue Straßen entstehen, aber vorwiegend zur Erschließung neuer Stadtteile oder zur Entlastung heute bereits belasteter beziehungsweise überlasteter Verbindungen.

Das Fachkonzept Mobilität der Stadt Wien vereint Vorhaben, die zum Teil sehr viel Geld kosten, wie etwa der U-Bahnbau, und zugleich viele "smarte" Maßnahmen, die weniger Geld als vielmehr Initiative, Durch- und Umsetzung fordern, wie etwa der konsequente Rückbau von Ampeln. Keine Stadt in Österreich hat eine so hohe "Regeldichte" wie Wien. Aber auch die Förderung von Lastenfahrrädern, einer Infrastruktur für Elektro-Autos und E-Bikes (Ladestationen) oder die Erhöhung der Pünktlichkeit bei Bahnen und Bussen lassen sich zu den "smarten" Maßnahmen zählen.

Der überzeugende Mix von grundsätzlichen Überlegungen und intelligenten Einzelmaßnahmen wurde vom Kölner Publikum mit viel Beifall bedacht, nachdem sich Angelika Winkler mit einem charmanten Dank "fürs zu Fuß gehen und fürs Rad- und Öffifahren" verabschiedet hatte.

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Dr. Reinkober und Herr Herbertz im Gespräch mit dem Moderator Jürgen Keimer

Kann Köln von Wien lernen?

Zwei Kölner Fachleute, Ralph Herbertz, Mitglied des Vorstandes des Verkehrsclubs Deutschland in Köln, und Dr. Norbert Reinkober, Geschäftsführer des Verkehrsverbunds Rhein-Sieg und des Verbands Nahverkehr Rheinland sowie Vorsitzender des Netzbeirats der DB-Netz AG kommentierten den Vortrag mit Blick auf Köln.

Beide waren von dem vorgestellten Fachkonzept Mobilität der Stadt Wien sehr angetan. Sie lobten die Rolle, die insbesondere die Kommunikation und die Akteursvernetzung bei der Planung spielt.

Ralph Herbertz fand es bemerkenswert, dass das Konzept Werten wie Gesundheit und Fairness einen hohen Rang einräumt. Das sei in Verkehrskonzepten eher selten. Dr. Reinkober lobte den Governance-Ansatz, der nicht nur die technischen beziehungsweise inhaltlichen Aspekte berücksichtigt, sondern auch gesellschaftliche Bedingungen mit einbezieht. Kooperation und Verhandlungsprozesse der unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure ergänzen die hoheitliche Ordnungsplanung. Das Ziel ist die Einigung im Konsens.

Beide Kommentatoren meinten, dass Köln einiges von Wien lernen kann.

Diego Deponte, Mailand

Beigeordnete Franz-Josef Höing begrüßte die Gäste zur dritten Veranstaltung der Kölner Perspektiven zur Mobilität im Vortragssaal des Rautenstrauch-Joest Museums. In seiner Begrüßung erwähnte der Baudezernent eine Einladung aus Südafrika. Im Rahmen einer internationalen Tagung von Verkehrsexperten wird die Stadt Johannesburg dabei die Innenstadt für den Autoverkehr sperren. Diese Maßnahme kann als Sinnbild verstanden werden, dass viele Großstädte auf der Welt unter vergleichbaren innerstädtischen Verkehrsproblemen leiden und dass neue Antworten gefunden werden müssen, wie diesen begegnet werden kann.

Damit war der Bogen zu dem Gastredner der Veranstaltung, Herrn Diego Deponte, Verkehrsplaner und einer von sechs Partnern des Mailänder Verkehrsplanungsbüros Systematica. Etwa 40 Fachleute arbeiten für Systematica und betreuen Projekte weltweit. Besonders engagiert sich Sysematica in Gebieten mit dynamischem Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum, etwa im Mittelmeerraum, in Nordafrika, in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Russland oder im Fernen Osten. Systematica arbeitet dabei sowohl für öffentliche als auch private Auftraggeber. Das Leistungsspektrum umfasst alle Facetten der Analyse und Planung.

Von der Ebene einzelner Infrastrukturprojekte bis hin zu verkehrsträgerübergreifenden Verkehrssystemen, etwa auf städtischer oder regionaler Ebene. Ein besonderes Augenmerk wird bei Systematica auf die Wechselwirkungen von Stadt- und Verkehrsplanung gelegt. Diese sind immer im Zusammenhang zu sehen und sollten daher nicht isoliert betrachtet werden. 

Diego Deponte begann seinen Vortrag mit einem Überblick weltweiter Trends. Die Weltbevölkerung wächst, und dies deutlich stärker in den Städten als auf dem Land. 2010 lebten etwa ebenso viele Menschen in Städten und auf dem Land. Schon 2030 werden aber etwa 75 Prozent der Weltbevölkerung in Städten wohnen. Anders als in vielen anderen Teilen der Welt, wird die Bevölkerung in den Städten Europas dabei im Durchschnitt deutlich älter sein. Systematica hat zehn europäische Millionenstädte untersucht und in allen werden 2050 mehr als die Hälfte der Einwohnerinnen und Einwohner 60 Jahre und älter sein. Für die Verkehrsplanung bedeutet dies unter anderem, dass – gemessen an heute – viel mehr Menschen ihre täglichen Wege zu Fuß oder mit dem (Elektro-)Fahrrad und in einem kleineren Radius um ihre Wohnung zurücklegen werden. Damit wird der Verkehrssicherheit eine noch größere Bedeutung zukommen. Ein wesentlicher Aspekt hierfür ist die Entschleunigung innerstädtischer Verkehre. 

Diego Deponte wies auch darauf hin, dass Verkehrsplanung "maßgeschneidert", das heißt vor dem Hintergrund der jeweiligen örtlichen Gegebenheiten erfolgen muss. Er erläuterte dies ausführlich am Beispiel der strategischen Verkehrsentwicklungsplanung, die in seiner Heimatstadt Mailand kürzlich abgeschlossen wurde und an welcher Systematica aktiv beteiligt war. Viele ortsspezifische Untersuchungen und Vorüberlegungen sollten der eigentlichen Planung vorangehen. Exemplarisch präsentierte er eindrucksvolle Grafiken etwa zum Verkehrsfluss vom und zum Wohnort, zur Arbeit und von der Arbeit und vom und zum Einkauf und wie sich diese sowohl untereinander als auch im Vergleich der Spitzenstunden am Morgen und Abend unterscheiden. Ebenfalls interessant war der Blick auf die PKW-Besitzquote in Mailand. So kamen im Jahr 2002 630 PKW auf 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner, im Jahr 2012 waren es nur noch 580. Trotz des Rückgangs ist die PKW-Dichte in Mailand damit immer noch höher als in vielen anderen Städten.

Aufbauend auf diesen und vielen anderen Analysen wurden in Mailand eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, welche die Stadt und ihren Verkehr zukunftsfähig machen sollen, etwa eine City-Maut im inneren Stadtkern (Cerchio dei bastoni), die Einrichtung von Fußgänger- und Tempo-30-Zonen, eine Ausweitung des U-Bahnnetzes, Car- und Bike-Sharing-Angebote. 

Eine besondere Herausforderung für Mailand war die Planung der EXPO Milano 2015. Für das Projekt hat Systematica die Planung des Messegeländes übernommen. Anhand einer Animation zeigte Herr Deponte, wie zum Beispiel die Fußgängerströme simuliert wurden. 

Anhand eines Beispiels aus Turin hat Herr Deponte aufgezeigt, dass auch private Investorinnen und Investoren an den Infrastrukturkosten des öffentlichen Personennahverkehrs beteiligt werden können. Konkret ging es in Turin um die Einrichtung einer U-Bahnlinie, die der Erschließung und Verbindung zweier großer innerstädtischer Brachflächen dient, die von privaten Investoren entwickelt werden und deren Gestaltung wiederum klaren stadtplanerischen Vorgaben folgt. Hier zeigt sich, neben der Beteiligung des Privatsektors an der Finanzierung eines Infrastrukturprojekts des ÖPNV auch wieder die Verknüpfung der Verkehrs- und Stadtplanung. 

Diesem Aspekt widmete sich auch das anschließende Projekt aus Paris. Im Rahmen von "Le Grand Pari(s)" sollen alle drei großen Flughäfen der französischen Hauptstadt durch eine ringförmige Tramverbindung miteinander verbunden werden. Hierdurch entsteht auch eine Verbindung der zahlreichen um Paris gelegenen Banlieus untereinander, was für diese wiederum neue Entwicklungspotenziale verschafft.

Am Beispiel der russischen Hauptstadt Moskau erläuterte Herr Deponte, wie ein Fluss, in diesem Fall die Moskwa, für die Stadt- und Verkehrsentwicklung genutzt werden kann. Durch die Inwertsetzung vieler, dezentraler Orte unmittelbar an der Uferlinie sollen neue urbane Zentren entstehen, die zum einen durch Bootsverbindungen untereinander vernetzt sind und diese zugleich mit anderen Verkehrsmitteln vor Ort verknüpft. Ziel ist es, den Fokus der Stadtentwicklung auf bislang vernachlässigte Stadtteile zu legen und zugleich das radial auf die Innenstadt ausgelegte und zum Teil total überlastete Straßennetz Moskaus zu entlasten. 

Zum Schluss zeigte Diego Deponte Pläne, die Systematica für die saudi-arabische Stadt Mekka gemacht hat. Für einen Monat im Jahr sieht sich Mekka während der Hadsch einem Strom mehrerer Millionen muslimischer Pilger gegenüber, der die Zahl der lokalen Bevölkerung bei weitem übersteigt und damit eine ganz besondere verkehrliche Herausforderung darstellt. Systematica schlägt daher eine ganz neue Pilgerstadt in fußläufiger Entfernung zu Al-Masjid al-Haram, der Heiligen Moschee Mekkas, vor. Dabei sollen Fußverkehre und der motorisierte Verkehr so gut es geht, voneinander getrennt werden. Eine entscheidende Rolle spielt dabei das Gateway, ein Tor für Fußgängerinnen und Fußgänger, in dem 24 doppelstöckige Fahrstühle pro Stunde 90.000 Pilgernde zwischen zwei verschiedenen Ebenen transportieren sollen. Geplant ist auch ein Schnellzug-System zwischen Medina, Dschidda und Mekka.

Dirk Helfert und Dr. Roman Suthold kommentierten 

Im Anschluss an den Vortrag von Diego Deponte zeigte sich Dirk Helfert (DB Regio/Region NRW) in einem kurzen Kommentargespräch besonders angetan von den Plänen, mit denen Systematica in Mekka die riesigen Pilgerströme auf eigenen Fußwegen bewältigen will. Auch das Gegenrechnen von Nutzen urbaner Entwicklung und Kosten einer öffentlichen Verkehrserschließung, wie Systematica es für die Entwicklung der Brachflächen in Turin angewendet hat, hat Dirk Helfert als innovativen Ansatz wahrgenommen. Schließlich ist die Finanzierung des öffentlichen Personenverkehrs auch in Deutschland ein Thema.

 

Dr. Roman Suthold (ADAC Nordrhein) fand die Idee gut, die Moskwa in Moskau für fahrplanmäßige Boote und Wassertaxis zu nutzen. Aus seiner Sicht auch ein interessanter Ansatz für Köln und die Region. Hier könnte über den Rhein ein zusätzliches Angebot geschaffen und damit eine bessere Verknüpfung beider Rheinufer erreicht werden. Aber auch eine reine Fuß- und Radverkehrsbrücke könnte er sich zu diesem Zweck vorstellen. Eine City-Maut, wie in Mailand, sollte laut Dr. Suthold  in Köln nicht eingerichtet werden. Er sieht hier eine Diskriminierung insbesondere der finanzschwachen Autofahrenden gegenüber jenen, die sich die Mautgebühr leisten könnten.

Auch eine stärkere Priorisierung des Radverkehrs auf einzelnen Straßen kann sich Herr Dr. Suthold in der Stadt gut vorstellen. Als Beispiel nannte er die Berrenrather Straße, wo dies auch ohne größere Probleme umsetzbar erscheint. Andere Straßen hingegen, wie etwa die Luxemburger Straße, würden hingegen hierzu nicht geeignet sein.

An den Planungen im saudi-arabischen Mekka beeindruckte die Kölner Fachleute im Übrigen noch etwas ganz besonders: Dort kann man nicht nur große Pläne machen, sondern diese auch umsetzen. Wenn es dort an einem nicht scheitert, dann am Geld!

Michael Erman, Stockholm

Andreas Grosz, Leiter des KAP-Forums Köln, eröffnete am 21. September 2015 die vierte Veranstaltung der Reihe. Herr Grosz nutzte die Gelegenheit, auf die inzwischen bundesweiten Veranstaltungen des KAP-Forums zu Fragen von Architektur und Stadtplanung hinzuweisen.

Der Gast des Abends war Michael Erman. Er arbeitet seit 2011 als Stadtplaner in Stockholm im Amt Strategie und Planung. Dort ist er unter anderem für "Walkable City", also für die fußläufige Stadt, verantwortlich. Er ist zudem Koordinator für Umweltfragen, Energie und Klima. Schon vorher war er für den Regionalen Entwicklungsplan zuständig und Manager des Projektes Energie-Zukunft Stockholms 2050. Michael Erman hat an der Universität Dortmund studiert. 

Die Ausgangslage in Stockholm

Stockholm, die Hauptstadt Schwedens, ist eine alte Handels- und Hansestadt. Heute hat die Stadt etwa 900.000 Einwohnerinnen und Einwohner, die Region Groß-Stockholm etwa 2,2 Millionen. Es wird erwartet, dass diese Zahlen in den kommenden Jahren deutlich steigen werden. Ein Umstand, den Stockholm mit Köln gemeinsam hat. Und es gibt weitere Parallelen: In beiden Städten ist der tertiäre Sektor fast gleich groß, 83 Prozent in Köln und 85 Prozent in Stockholm. Nach Köln pendeln täglich etwa 250.000 Menschen zur Arbeit ein, in Stockholm sind es circa 200.000.

Doch es gibt auch viele Unterschiede. So kommen in Köln auf 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner etwa 430 Autos, in Stockholm sind es lediglich 360. Außerdem ist die Kölner Bevölkerung auf 405 Quadratkilometer verteilt, die in Stockholm jedoch auf lediglich 187 Quadratkilometer. Die auf vielen Inseln und Halbinseln errichtete schwedische Hauptstadt ist demnach etwa doppelt so dicht besiedelt wie Köln.

In seinem Vortrag wies Michael Erman auch auf die besonderen Schwierigkeiten hin, die sich aus Stockholms Lage zwischen Ostsee und Süßwasser-Seen ergibt. Ein sehr großer Teil des Verkehrs bündelt sich, aufgrund der geographischen Gegebenheiten, im Zentrum des etwa 200 Kilometer langen, sich in nordsüdlicher Richtung erstreckenden Gebiets von Groß-Stockholm. Diese Engführung hat verschiedene Gründe. Einmal liegt dort, dicht am Altstadt-Zentrum Stockholms, die wichtigste der nur vier Stockholmer Brücken. Zum anderen fahren täglich sehr viele Menschen, die im Süden der Stadt und der Region leben, in den Norden zur Arbeit. Im Norden haben sich viele Unternehmen angesiedelt. Ein wichtiger Treiber dieser Entwicklung ist in den beiden Stockholmer Flughäfen zu sehen - einem für Inland- und einem für internationale Flüge. Das Flugzeug spielt im Stockholmer Alltag eine weitaus größere Rolle als in anderen europäischen Städten. Zum einen, weil die Stadt weit weg von vielen wichtigen internationalen Zentren liegt und zum anderen, weil auch die großen Inlandstrecken oft im Flugzeug zurückgelegt werden. 

Auch der Hauptbahnhof ist ein wichtiger Verkehrsknoten. Zur lokalen Verdichtung des Gesamtverkehrs trägt bei, dass sich Hauptbahnhof im Zentrum alle U-Bahnlinien kreuzen. Bei der internationalen Vernetzung Stockholms spielen zudem die Osteefähren eine große Rolle. Wichtigstes Verkehrsmittel in Stockholm aber ist das Auto, das zugleich auch die größten Schäden an Stadtgestalt und Stadtklima verursacht.

Bei der Bändigung des Verkehrs haben die Stockholmer Planer mit einer besonderen Schwierigkeit zu kämpfen. In sympathischer Offenheit schilderte Michael Erman die Probleme, die sich durch die Einbindung der Stadt in die Region ergeben. Während die Stadt die Planungshoheit hat, ist die Region für die Finanzierung der Verkehrsprojekte zuständig. Die Stadt kann daher ohne die Region praktisch nicht erfolgreich planen. Durch diese Gemengelage kam und kommt es immer wieder zu Verzögerungen bis hin zum Stopp ganzer Projekte.

Michael Erman nannte drei einschneidende und zukunftweisende Entscheidungen des vergangenen Jahrhunderts, die die Verkehrssituation und das Stadtbild Stockholms bis heute prägen:  

  • 1941, also während im übrigen Europa der Zweite Weltkrieg tobte, wurde in Stockholm der Bau einer U-Bahn beschlossen. Erst 1986 war das Netz fertiggestellt. Mittlerweile gibt es Pläne für dessen Erweiterung.
  • 1961 wurde der Bau der Autobahn "Essingeleden" beschlossen. Dieser Beschluss passte zu vielen anderen Maßnahmen, die auch Stockholm in den Nachkriegsjahren zu einer "autogerechten" Stadt machen sollten. Von besonderer Bedeutung war der Bau der Autobahn vor allem, weil ihr Bau eine vierte Süd-Nord-Brücke mit einschloss.
  • 1967 schließlich übernahm Schweden den Rechtsverkehr im Straßenverkehr. Für Stockholm hatte diese Entscheidung einen drastischen Nebeneffekt: Er bedeutete das Ende des Straßenbahnverkehrs, weil die Straßenbahnwagen plötzlich alle Türen zur "falschen" Seite hatten. Anstatt die Straßenbahnen auszutauschen oder umzurüsten, wurde der Straßenbahnbetrieb kurzerhand eingestellt.

Verkehrsplanung in Stockholm heute

Für die Verkehrsplanung in der Gegenwart zeichnete Michael Erman drei wichtige Entscheidungen nach. Da ist zunächst die im Jahr 2006 eingeführte Maut. In Schweden heißt sie Stausteuer, und da die Maut eine Steuer ist, wird Mautverweigerung von den Finanzbehörden verfolgt und streng bestraft. Der Erfolg gibt der Maut offenbar recht: Trotz des hohen Bevölkerungszuwachses in den letzten Jahren reduzierte sich der Pkw-Verkehr in der Innenstadt seit 2007 um 20 Prozent. Damit einher geht ein Rückgang der Emissionen um 10 bis 14 Prozent und eine Verbesserung der allgemeinen Luftqualität um 2 bis 10 Prozent.

Eine weitere wichtige Entscheidung fiel 2008 mit dem Beschluss, einen S-Bahn-Tunnel zu bauen. Dieser soll 2018 fertiggestellt sein, verschiedene Stadtteile neu miteinander verbinden und somit den Hauptbahnhof als Knotenpunkt entlasten.

Im Jahr 2013 gab sich Stockholm außerdem ein neues Verkehrskonzept. Dieses spricht nicht mehr von Mobilität, sondern von Zugänglichkeit. Anhand einer auf dem Kopf stehenden Pyramide verdeutlichte Erman diesen Paradigmenwechsel und die damit verbundenen Ziele für seine Stadt: Ganz unten steht das Auto. Es soll den kleinsten Platz einnehmen. Ganz oben hingegen rangiert der Fuß- und Radverkehr; diesem soll somit am meisten Platz eingeräumt werden. Darunter befindet sich der Öffentliche Verkehr, gefolgt von dem für die Versorgung der Stadt essentiellen Lieferverkehr.  

Viele verschiedene Maßnahmen sollen zur Umsetzung dieses neuen Leitbilds realisiert werden. Die Maut ist eine davon, aber auch neue Pläne für Radwege und Fahrradabstellplätze sollen umgesetzt werden. Das Parken in der Innenstadt ist schon heute bewirtschaftet und sehr teuer. Zukünftig sollen auch die Pkw-Stellplätze in den Außenbezirken bewirtschaftet werden und damit kosten. 98 Prozent seiner Lebensdauer verbringt ein Auto parkend. Zur Steigerung der Lebens- und Aufenthaltsqualität sollen die Straßen im Innenstadtbereich so weit wie möglich autofrei werden. 

Schon länger versucht die Stockholmer Stadtplanung außerdem, die mono-zentrale, auf die Altstadt ausgerichtete Siedlungs- und Verkehrsstruktur durch eine polyzentrischere Struktur zu ersetzen, die sich aus vielen kleinen Knotenpunkten in den Stadtteilen zusammensetzt.

Stockholm setzt außerdem stark auf die Möglichkeiten, die sich durch digitale Verkehrssteuerungssysteme ergeben: Nicht nur Staus werden per App in Echtzeit kommuniziert, es sollen auch Routen und Zeitabläufe per App individuell und in Echtzeit planbar sein. Zur Entlastung der Innenstadt gehört auch der Bau einer neuen westlichen Umgehungsautobahn. Diesen Plan sieht Michael Erman aber eher skeptisch: Ein bis zu sechzig Meter tiefer Tunnel soll die Autobahn unter Seen und Inseln hinwegführen. Die notwendigen Zubringer müssen aus dieser Tiefe durch den harten Granit nach oben geführt werden, was dieses Projekt, dessen tatsächlicher Nutzen vielen zweifelhaft erscheint, extrem teuer macht.

Thomas Ross und Dr. Reimar Molitor kommentierten das Gehörte

Im Kommentargespräch, das sich an den Vortrag anschloss, wunderte sich dann auch einer der beiden Kommentatoren, Thomas Ross von cambio Köln, darüber, dass in der als vorbildlich geltenden Verkehrspolitik Stockholms so eine Baumaßnahme überhaupt noch möglich sei. Der andere Kommentator, Dr. Reimar Molitor, Vorsitzender des Region Köln-Bonn e. V., fand es hingegen erstaunlich, dass die vielen Wasserstraßen für den öffentlichen innerstädtischen Verkehr offenbar keine Rolle spielen und führt deren Zufrieren im Winter als möglichen Grund an. Bemerkenswert fand er außerdem, dass die Abstimmung zwischen Stadt und Region auch in Schweden schwierig zu sein scheint. Köln habe es im Gegensatz zu Stockholm aufgrund seiner geographischen Lage in Sachen Verkehr nicht nur mit einer Region zu tun. Das Verkehrsgeschehen im Stadtgebiet wird außerdem von den aus allen Himmelsrichtungen auf Köln zuströmenden, überregionalen Verkehrsflüssen beeinflusst. Interessant sei zudem, dass in Stockholm das U-Bahnnetz ganz auf den Hauptbahnhof ausgerichtet war. Eine Einseitigkeit, die es auch anderswo gibt und die schwer zu korrigieren ist. Eindeutig angetan war besonders Thomas Ross von dem Projekt des Stockholmer S-Bahn-Tunnels. Ein vergleichbarer "Befreiungsschlag" täte auch Köln gut, ließe sich aber nur schwer realisieren.

Per Als, Kopenhagen

Zur fünften Veranstaltung der Reihe "Kölner Perspektiven zur Mobilität" am 19. Oktober begrüßte Dr. Ulrich Soénius, Geschäftsführer der Industrie und Handelskammer zu Köln, die zahlreich erschienenen Gäste. Die IHK ist neben dem Dezernat für Wohnen, Bauen, Planen und Verkehr der Stadt Köln und dem KAP-Forum Mitveranstalter dieser Reihe, im Rahmen derer Verkehrskonzepte großer europäischer Städte vorgestellt werden.

Gastredner der Veranstaltung war Per Als, Chef der Verkehrsverwaltung von Kopenhagen, verantwortlich für Verkehrsplanung und öffentlichen Verkehr, also Metro, Bus und Straßenbahn. Insgesamt hat Per Als über 30 Jahre lang in unterschiedlichen Funktionen Erfahrung im Verkehrswesen gesammelt, in Dänemark, aber auch in internationalen Organisationen.

Das Stadtgebiet von Kopenhagen verteilt sich über mehrere Inseln. Die Stadt Kopenhagen hat etwa 550.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Im Großraum Kopenhagen wohnen hingegen etwa 1.800.000 Menschen. 

Die Besonderheit dieses Großraums ist, dass er sich - seit der Inbetriebnahme der Öresund-Brücke im Jahr 2000 über Dänemark hinaus erstreckt und auch die schwedischen Städte Malmö und Lund sowie deren Umland umfasst. Die Eisenbahn- und Autobrücke über den Öresund, deren Baukosten über die Erhebung einer Maut refinanziert werden, hat eine ganz neue Situation für die Wirtschaft, aber auch für das tägliche Leben zu beiden Seiten des Meeresarms geschaffen.

Verkehrsplanung in Kopenhagen

Schon 1947 hat sich Kopenhagen mit der dänischen Regierung auf einen Plan zur Entwicklung des umliegenden Siedlungsraums geeinigt. Wie fünf Finger greifen langestreckte Areale ins Land aus. In diesen "Fingern" sollten Gartenstädte nach englischem Vorbild entstehen, Wohnraum für die "klassische" Familie damaliger Zeit. Während Frau und Kinder den Tag daheim im Grünen verbringen, pendelt der Vater mit der S-Bahn zur Arbeit. So entstand ein radial, auf die alte Stadtmitte ausgerichtetes Verkehrssystem.

Die Zwischenräume zwischen den fünf Fingern wurde per Gesetz als Grünflächen gesichert und dadurch vor Zersiedlung geschützt. Seit dieser Zeit hat sich nicht nur das Familienleben - vielfach sind beide Elternteile berufstätig - grundlegend gewandelt. Auch die Arbeitsplätze liegen nicht mehr ausschließlich in der Kernstadt und die Zahl der Menschen in Kopenhagens Umland ist bedeutend gewachsen. Das radiale Verkehrsnetz bedarf daher dringend einer Vernetzung der einzelnen "Finger" untereinander. 

Im Jahr 2007 wurde der "Finger"-Plan daher fortgeschrieben. Die fünf Finger wurden verlängert, und ein sechster Finger erstreckt sich nun vom Zentrum aus nach Norden entlang der Küste, an der in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls eine starke Siedlungstätigkeit stattgefunden hatte. Die Finger sind durch Straßen, aber vor allem auch durch S-Bahnen erschlossen.

Laut Per Als hat die Siedlungsdichte einen direkten Einfluss auf die Kosten, die für den Verkehr aufgebracht werden müssen. Je dichter eine Stadt bevölkert ist, desto nachhaltiger ist ihr Verkehr. In dicht bebauten und bewohnten Städten wie Hongkong oder Tokyo, aber auch in Städten wie Wien und Berlin ist der Anteil des Umweltverbundes, also des Fußverkehrs, Radverkehrs und öffentlichen Verkehrs zumeist höher als der Autoanteil. In Houston, Texas, einer Stadt mit nur 5 Prozent Anteil des Umweltverbundes, belaufen sich die Kosten, die im Zusammenhang mit der Mobilität stehen, auf 14 Prozent des Bruttoinlandproduktes. In Tokyo oder Hongkong mit 68 Prozent beziehungweise 82 Prozent Umweltverbundverkehr belaufen sich die Mobilitätskosten gerade mal auf 5 Prozent. München liegt bei 6 Prozent Mobilitätskosten und in Köln dürfte es sich ähnlich verhalten.

Die Verkehrsplanung Kopenhagens verfolgt daher ein einfach formuliertes, aber gar nicht einfach zu erreichendes Ziel:

Mindestens ein Drittel Radverkehr, mindestens ein Drittel öffentlicher Personenverkehr und höchstens ein Drittel Autoverkehr.

Der öffentliche Personenverkehr in Kopenhagen

In den neunziger Jahren wurde deutlich, dass Kopenhagen den öffentlichen Nahverkehr ausbauen musste. Geld hierfür gab es zu der Zeit weder im städtischen noch im staatlichen Haushalt. Die ebenfalls in dieser Zeit geplante Öresund-Brücke sollte durch die Maut finanziert werden. Für ein städtisches Verkehrsmittel kam das nicht in Frage. Die Einnahmen durch die Fahrkarten würden zur Refinanzierung des neuen Systems niemals ausreichen. In Kopenhagen traf man zwei ungewöhnliche Entscheidungen: 

Zuerst entschied man sich bei der Wahl zwischen Bus, Straßenbahn, Stadtbahn, Metro und vollautomatisierter Metro für letzteres System. Dieses war zwar in Anschaffung und Bau die teuerste, allerdings auch die schnellste, sicherste, und im Betrieb günstigste Variante. Für die Finanzierung der vollautomatisierten Metro wiederum gründeten die dänische Regierung und die Kommune Kopenhagen eine Metro-Gesellschaft. Dieser übertrugen sie kostenlos ein großes Baugelände. Die Metro-Gesellschaft konnte daraufhin Darlehen aufnehmen und damit die beiden neuen Metro-Linien finanzieren (value capture principle).

Seit 2002 fährt die fahrerlose U-Bahn im Minutentakt, mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 40 Kilometern pro Stunde, Halts eingerechnet. Dieser hervorragende Service und hohe Komfort schlägt sich in einer großen Nachfrage durch die Kopenhagenerinnen und Kopenhagener nieder. Voraussichtlich 2033 wird sich die Metro amortisiert haben. 

Der Bau von Stadtbahnlinien und Stadtentwicklung gehen Hand in Hand. Essenziell für beide ist die Planungssicherheit. Laut Per Als hängt der Erfolg solcher Projekte vor allem von einer starken Organisationsstruktur, einer breiten Zustimmung von Politik, Öffentlichkeit und Wirtschaft sowie von einem effektiven "first mover" ab. Dieser Begriff lässt sich am ehesten mit "Zugpferd" übersetzen und meint, dass es jemanden geben muss, der die geplante Maßnahme zu seiner Sache macht. Als Beispiel nannte er den Londoner Bürgermeister Boris Johnson, ohne dessen persönlichen Einsatz der rasante Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur und die neu entflammte Liebe der Londoner Bevölkerung für das Radfahren kaum möglich gewesen wäre.

Aktuelle Projekte des öffentlichen Personenverkehrs in Kopenhagen sind der Bau eines Metrorings in der Stadt sowie Netzerweiterungen Richtung Norden und Süden und eine Vernetzung der "Finger" durch eine neue S-Bahnlinie.

Fahrradmetropole Kopenhagen

Besonders ehrgeizig ist Kopenhagen in der Radverkehrsförderung. Bereits heute hat Kopenhagen den weltweiten Ruf, ein Mekka für den Radverkehr zu sein. Es gibt ein über die Stadtgrenzen hinaus reichendes Netz breiter Radschnellwege, die in die "Finger" hineinreichen. Über den Hafen wurde, als Ergänzung zu drei bestehenden Brücken, eine vierte Brücke, allein für den Rad- und Fußverkehr, errichtet. Auch eine stark befahrene Hauptverkehrsstraße können Radlerinnen und Radler seit kurzem über eine eigene Brücke queren. Zudem gibt es die Grüne Welle für den Radverkehr an Ampeln, Aufstellflächen im Blickfeld des Autoverkehrs und zahlreiche weitere Annehmlichkeiten, die das Radfahren in Kopenhagen besonders attraktiv und sicher machen. Zwei Drittel aller Kopenhagenerinnen und Kopenhagener pendeln per Fahrrad zwischen Wohnung und Arbeit. Im Durchschnitt werden täglich 3,4 Kilometer per Rad zurückgelegt. 

Per Als sieht im Fahrradfahren nicht nur ein Mittel, den Verkehr umweltverträglicher und die Stadt durch die höhere Aufenthaltsqualität des öffentlichen Raums lebenswerter zu machen. Seit Jahren rangiert Kopenhagen ganz vorn, wenn es um die Aufenthaltsqualität der Städte weltweit geht. Ein hoher Radverkehrsanteil hat auch einen direkten volkswirtschaftlichen Nutzen, da Radfahrende nachweislich weniger krankheitsanfällig sind. Für die Wirtschaft in Kopenhagen ergeben sich laut einer Studie hierdurch etwa eine Million Krankentage pro Jahr weniger. Zudem steigt die Lebenserwartung der Bevölkerung.

Und das Auto?

Das ehrgeizige Ziel von einem Drittel Fahrradverkehr hat Kopenhagen für das Stadtgebiet so gut wie erreicht. Im Regional- und Pendelverkehr spielt aber auch in Kopenhagen immer noch das Auto die Hauptrolle. Das ehrgeizige Ziel, den Autoverkehr auf maximal ein Drittel aller Wege zu reduzieren, ist hier noch nicht erreicht. Durch die Ausbauvorhaben im öffentlichen Nahverkehr und die Vervollständigung des Radschnellwegnetzes, gepaart mit der Umgestaltung extrem autogerecht ausgebauter Hauptverkehrsstraßen vom Umland ins Stadtzentrum bis hin zu einer konsequenten Parkraumbewirtschaftung, die das Parken in der Innenstadt bewusst unattraktiv machen soll, versucht Kopenhagen, den Anteil des Autoverkehrs am Pendelverkehr weiter zu reduzieren.

Zugleich betonte Per Als, dass das Auto per se nicht schlecht ist. Im Gegenteil: Es gibt zahlreiche Wegezwecke, für die das Auto die beste Wahl ist. Auch der Wirtschaftsverkehr ist nach wie vor in weiten Teilen auf das Auto oder den Lkw angewiesen. Den Menschen in Kopenhagen gehe es vielmehr darum, die Autonutzung auf den Fahrten einzudämmen, die mit anderen Verkehrsmitteln besser und effektiver erledigt werden können. Die damit einhergehende Entlastung der Straßeninfrastruktur kommt einer Verbesserung der Situation, etwa für den unverzichtbaren Wirtschaftsverkehr, gleich. Kurz gesagt: Es geht um die richtige Mischung, die den Verkehr in der Stadt attraktiv und sicher sowie zugleich die Lebensqualität insgesamt erhöht.

Wie vorausschauend und integriert Verkehrsplanung in Kopenhagen gedacht wird, zeigte Per Als abschließend an folgendem Beispiel: Aufgrund des zu erwartenden Klimawandels und des damit einhergehenden Anstiegs der Starkregenereignisse, werden einige Straßenzüge in Kopenhagen mittlerweile so geplant, dass sie im Fall der Fälle durch speziell angelegte Grünstreifen helfen, die immensen Wassermengen, zumindest in Teilen, aufzunehmen und zu kanalisieren. So soll einer unkontrollierten Überschwemmung des zentralen Innenstadtbereichs entgegengewirkt werden.

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Die Kommentatoren Winfried Queiser und Dr. Volker Ermert gemeinsam mit Moderator Jürgen Keimer auf der Bühne

Winfried Queiser und Dr. Volker Ermert kommentierten

Winfried Queiser ist Lehrer am KölnKolleg und stellvertretender Vorsitzender vom Regionalverband Rhein-Sieg des Fahrgastverbands Pro Bahn. Besonders interessant fand er das Finanzierungsmodell für die Metro sowie die kurze Zeitspanne innerhalb derer das Projekt umgesetzt wurde. Dass eine neue Stadtbahnlinie rings um die Innenstadt in Angriff genommen wird, fand er bemerkenswert. In Köln wäre nach seiner Meinung so eine mutige Neuplanung kaum möglich und alles würde viel langsamer gehen. Er lobte außerdem die Grüne Welle für den Radverkehr und machte an einem plakativen Beispiel deutlich, wie sehr die Ampelschaltungen in Köln den Radverkehr und Fußverkehr oftmals ausbremsten, da diese einseitig auf den Autoverkehr ausgerichtet seien.

Die Überwindung der autozentrierten Verkehrsausrichtung ist für Herrn Queiser eine entscheidende Stellschraube, an der in Köln zu drehen sei.

Ganz ähnlich argumentierte Dr. Volkler Ermert, Mitglied des Beirats und des Arbeitskreises Mobilität von Agora Köln, ein Zusammenschluss von über 100 Umweltinitiativen, Kultureinrichtungen, Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen, die das Ziel verfolgen, nachhaltige und innovative Lösungen für die drängendsten Probleme der Stadt aufzuzeigen und voranzutreiben. Agora Köln initiiert zum Beispiel die vielbeachteten "Tage des Guten Lebens". Dr. Ermert wunderte sich zwar etwas darüber, dass auch in Kopenhagen immer noch sehr viele Pendlerinnen und Pendler mit dem Auto in die Innenstadt fahren, viel mehr als die angestrebten 30 Prozent. Das Netz an exzellenten Radschnellwegen fand er unbedingt nachahmenswert. Auch Dr. Ermert beklagte die schlechten Bedingungen, welche die Radfahrenden in Köln an vielen Stellen vorfinden. Als Beispiel nannte er die schmalen Radwege entlang der Ringe, die zudem noch auf dem Gehweg liegen. Die Lösung könne hier nur heißen, den Radverkehr endlich auf die Fahrbahn zu verlegen und hierfür eine Fahrspur des Autoverkehrs zu nutzen. Auch die Querungsmöglichkeiten über den Rhein bemängelte Dr. Ermert scharf und forderte, ganz nach Kopenhagener Vorbild, eine reine ausschließlich dem Radverkehr und Fußverkehr vorbehaltene Brücke über den Rhein auf Höhe der Innenstadt. Köln solle sich außerdem ein Beispiel an der Londoner Praxis nehmen, die Per Als in seinem Vortrag ebenfalls erwähnte: Mit der jährlichen Umwidmung von einem Prozent des Parkraums für Autos in der Innenstadt für andere Nutzungen könne die Aufenthaltsqualität in Köln sukzessive und zugleich verträglich erhöht werden.

Abschlussveranstaltung: Kölner Diskurs

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Am 9. November 2015 fand im Vortragssaal der Volkshochschule im Rautenstrauch-Joest-Museum die Abschlussveranstaltung der Reihe "Kölner Perspektiven zur Mobilität" statt. Wie schon bei den vorangegangenen Veranstaltungen führte auch an diesem Abend, der die Überschrift "Kölner Diskurs" trug, der Journalist und Moderator Jürgen Keimer.

Zum Auftakt ließ der Dezernent für Planen, Bauen, Stadtentwicklung und Verkehr der Stadt Köln, Franz-Josef Höing, die vergangenen fünf Veranstaltungen der Reihe Revue passieren.

Experten aus den Städten Zürich, Wien, Mailand, Stockholm und Kopenhagen waren nach Köln eingeladen worden, um die Strategien und Maßnahmen der Verkehrspolitik und Verkehrsplanung in ihren Städten vorzustellen. Einige dieser Städte belegen regelmäßig die vorderen Plätze, wenn es im internationalen Vergleich um Aufenthalts- und Lebensqualität geht.

Sie alle haben gemeinsam, dass sie viel früher als Köln angefangen haben, eine Grundsatzdebatte darüber zu führen, wie der Verkehr in ihrer Stadt zukünftig organisiert werden soll und Konzepte zu entwickeln, deren Umsetzung die gewünschten Veränderungen herbeiführen. In den meisten Städten gab und gibt es eine Kontinuität und Stetigkeit in der Verkehrspolitik.

Beachtenswert sind auch die Investitionen. Stockholm und Kopenhagen als besonders lebenswerte europäische Städte haben mit enormen finanziellen Mitteln ihre Verkehrsinfrastruktur angepasst: Stockholm 4 Milliarden Euro, Kopenhagen 5 Milliarden Euro.  

Eine echte Verkehrswende einzuleiten und umzusetzen war und ist in allen Beispielstädten alles andere als leicht. Herr Höing erwartet, dass dies auch in Köln nicht anders sein wird, wenn jetzt begonnen wird, die notwendigen Debatten anzustoßen und zu führen. Aber schon allein wegen der aktuellen Bevölkerungsprognose - Köln rechnet mit  200000 zusätzlichen Einwohnerinnen und Einwohnern in den nächsten 15 bis 20 Jahren - kann es ein "weiter so" einfach nicht geben. 

Planung bedeutet zwar immer einen langen Vorlauf, muss aber jetzt angestoßen werden. Der Zustand der Infrastruktur macht eine Sanierung in den nächsten 15 Jahren zwingend erforderlich. Die damit verbundenen Arbeiten werden die ohnehin schon prekäre Situation im innerstädtischen Verkehr zusätzlich verschärfen. Es führt aus Sicht von Herrn Höing allerdings kein Weg daran vorbei, die Innenstadt zu entlasten. Hierfür müsse auch für eine bessere Vernetzung der Stadtteilzentren untereinander gesorgt werden. Darüber hinaus müssen Stadtplanung und Verkehrsplanung besser miteinander verknüpft werden. Die Zusammenarbeit mit und in der Region muss intensiviert werden.

Die Beispielstädte haben lauf Höing gezeigt, wie elementar wichtig es sei, den Fußverkehr neu in den Blick zu nehmen und zugleich massiv in die Förderung des Radverkehrs zu investieren. Beispielhaft nannte er mögliche neue Rad- und Fußverbindungen über den Rhein, etwa zwischen Bastei und Rheinpark oder auch zwischen der geplanten Parkstadt Süd und dem Deutzer Hafenareal, das ebenfalls städtebaulich entwickelt wird. Von größter Wichtigkeit sei es laut Höing, dass die nun in Köln anstehenden Debatten unideologisch geführt werden und eine langfristige Perspektive einnehmen.

Podiumsdiskussion

Im Anschluss an den Impulsvortrag von Herrn Höing diskutierten vier Experten die aktuelle Situation in Köln vor dem Hintergrund der Erkenntnisse aus den vergangenen Veranstaltungen der Reihe "Kölner Perspektiven zur Mobilität": Professor Klaus Beckmann, Vizepräsident der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Doktor Ulrich Soénius, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer zu Köln, Peter Hofmann, Vorstandsmitglied der Kölner Verkehrsbetriebe AG sowie Doktor Weert Canzler, Sozialwissenschaftler und Mobilitätsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.

 

 

Professor Beckmann war bereits an der Erarbeitung des Strategiepapiers "Köln mobil 2025" beteiligt, das den Rahmen für ein zukünftiges Kölner Mobilitäts- und Verkehrskonzept aufspannt. Er meinte zwar, dass die Stadt Köln einiges am innerstädtischen Verkehr ganz autonom ändern und regeln kann, dass aber ein wirksames Mobilitätskonzept eng mit der Region abgestimmt werden muss. Wenn es um Pendler, um die Einbindung Kölns in nationale und sogar europäische Verkehrsströme geht, auch bei der Ertüchtigung des Schieneverkehrs in und um Köln, geht es nicht ohne eine enge Regionale Zusammenarbeit.  

Wichtig für das Gelingen eines Mobiltätskonzepts ist die konsequente Verfolgung seiner Ziele über viele Jahre. Dr. Soénius sagte, dass es trotz unterschiedlicher politischer Positionen und Parteien im Rat der Stadt möglich sein wird, eine einmal vereinbarte Verkehrspolitik auf lange Dauer zu verfolgen. Es gehe ja nicht um ideologische Fragen, sondern um vernünftige Lösungen. Die Erfahrungen mit dem Masterplan stimmen Dr. Soénius optimistisch, dass dies gelingen kann.

Im Strategiepapier "Köln mobil 2025" ist als ein Ziel vorgegeben, den individuellen Autoverkehr (nach Kopenhagener Beispiel) auf ein Drittel zu begrenzen. Der Umweltverbund, also Fußverkehr, Radverkehr und öffentlicher Verkehr, soll perspektivisch zwei Drittel des Gesamtverkehrs ausmachen. Aber können die KVB wirklich ein Drittel des Verkehrs bewältigen? Peter Hofmann, im Vorstand der KVB unter anderem für die Nahverkehrsplanung zuständig, ist optimistisch, hält aber zugleich große Anstrengungen für nötig, um dieses Ziel stemmen zu können. Die KVB planen derzeit unter anderem, verschiedene Stadtbahnstrecken zu verlängern. Zudem soll die meist frequentierte Strecke, die sogenannte Ost-West-Achse, bedient durch die Linie 1, so ertüchtigt werden, dass sie künftig mehr Fahrgäste aufnehmen kann. Insbesondere zwischen Deutz und Universität übersteigt die Nachfrage in Spitzenzeiten die vorhandenen Kapazitäten. Deshalb soll die Ost-West-Achse so umgebaut werden, dass hier zukünftig Stadtbahnen in sogenannter Dreifachtraktion, das heißt mit drei gekoppelten Zugeinheiten anstatt mit den heute üblichen zwei Zugeinheiten, fahren können.

Doktor Weert Canzler ist Experte für das Verhältnis zwischen den verschiedenen Verkehrsarten. Wie wird sich das Verhältnis von PKW zu Radfahrern und Fußgängern und zum ÖPNV entwickeln? Seiner Meinung nach wird es vor allem darum gehen, das Zusammenspiel dieser Verkehre klug zu planen. Etwa Park-and-Ride Anlagen in ausreichender Anzahl zu schaffen und gut zu positionieren, Leihstationen für Fahrräder an Haltestellen anzubinden oder Fußwege attraktiver zu machen. Für die Zukunft sieht Doktor Canzler große Chancen durch die digitale Vernetzung. Smartphone-Apps und die Kommunikation der unterschiedlichen Verkehrssysteme untereinander könnten bald Lösungen möglich machen, die man sich heute noch nicht wirklich vorstellen kann. Aktuell aber geht es immer noch um gegenseitige Rücksichtnahme und um konkrete Maßnahmen, die Belastung der Innenstadt durch den Autoverkehr zu reduzieren, etwa durch konsequente Parkraumbewirtschaftung. Doktor Soénius stimmte Doktor Canzler ausdrücklich zu und nannte ein Beispiel: Entgegen der landläufigen Meinung wären auch die Einzeländler, etwa in Apostelnstraße oder Ehrenstraße, froh, wenn die vor ihren Geschäften parkenden Autos den Fußgängern Platz machten; allerdings unter der Voraussetzung, dass es für die Autofahrer sinnvolle Alternativen, etwa gut erreichbare Parkhäuser im näheren Umfeld, gibt.   

Alle Diskutanten halten den Radverkehr für ein ganz zentrales Element der Verkehrszukunft. Radschnellwege, Leihfahrad-Stationen, gleichberechtigte Integration des Radverkehrs in den städtischen Straßenverkehr sind wichtige Punkte. Gerade der Trend hin zu Elektrofahrrädern bietet, aufgrund ihrer deutlich größeren Reichweite, völlig neue Möglichkeiten, etwa für Berufspendlerinnen und Berufspendler. Beim Radverkehr ist die vielbeschworene Elektrifizierung des Individualverkehrs schon heute Realität. Peter Hoffman von den KVB wies an dieser Stelle darauf hin, dass Straßenbahnen, U-Bahnen und Züge schon seit Jahrzehnen erfolgreich E-Mobilität betreiben.

Die Stadt Köln erwägt derzeit die Sperrung des Durchgangsverkehrs von schweren LKW durch die Innenstadt. Doktor Soénius von der IHK sieht den LKW-Verkehr sehr differenziert. Fernfahrer würden sich ohnehin hüten, die Innenstadt zu durchqueren, weil das viel zu viel Zeit kostet. Inzwischen gibt es auf LKWs ausgerichtete Navigationsgeräte, die Wohngebiete und enge Innenstädte meiden helfen. Er wies an dieser Stelle nochmal auf die Bedeutung des Ausbaus vom Godorfer Hafen hin, der helfen würde, viele Nord-Süd-Fahrten von LKWs durch Köln überflüssig zu machen. Der Lieferverkehr in die Innenstadt müsse aber gewährleistet bleiben, nicht nur wegen der zunehmenden Internet-Einkäufe, sondern auch für den Einzelhandel und die Gastronomie. Wünschenswert wären hier sinnvoll und flächendeckend eingerichtete Ladezonen, ein Ausbau von Abholstellen für Pakete, der Einstz von Elektro-Lastenrädern. Sobald es mehr Elektro-LKWs gibt, könnte der Lieferverkehr auch nachts abgewickelt werden, ohne die Nachtruhe zu stören.  

Köln besteht aber nicht nur aus der Innenstadt. Umso wichtiger ist ein differenzierender Blick in der Verkehrsplanung, der zwischen den verschiedenen Stadträumen und den jeweiligen Erfordernissen unterscheidet und passgenaue Lösungen entwickelt. Für Peter Hofmann von den KVB müssten in Zukunft neue Wohngebiete besser als bislang mit der Planung von KVB- Strecken koordiniert werden, damit die Bewohnerinnen und Bewohner von vornherein eine Alternative zum Auto haben.

Manche Ziele eines Mobilitätskonzepts könnten sich sicherlich schneller als andere umsetzen lassen. Vieles dauert aber auch seine Zeit und kostet sehr viel Geld; Geld, das die Stadt Köln nicht allein aufbringen kann. Insgesamt zeigte sich die Runde aber optimistisch, dass auch in Köln eine Wende hin zu einer zukunftsorientierten Mobilitätsstrategie und einem damit einhergehenden Verkehrsangebot gelingen kann. Ein besonderes Augenmerk müsse dabei auf die Einbeziehung der Bevölkerung bei der Definition und Umsetzung von Maßnahmen gelegt werden.

Schlussbemerkungen des Dezernenten

Im Anschluss an die Diskussion ergriff Dezernent Franz-Josef Höing noch einmal das Wort. Seiner Meinung nach dürfe man bei der Diskussion über die Mobilität der Zukunftden demografischen Wandel nicht außer Acht lassen. Angesichts einer zunehmend älter werdenden Gesellschaft wies er noch einmal darauf hin wie wichtig, neben allen Möglichkeiten, die sich aus dem intelligenten Einsatz von digitalen Medien und Software ergeben können, die Hardware, also die gebaute Infrastruktur bleibe. Von dieser hängt entscheidend das Stadtbild und damit die Aufenthalts- und Lebensqualität ab. Immer noch müsse viel Geld in bauliche Maßnahmen und technische Ertüchtigungen investiert werden. Eine Milliarde Euro an ÖPNV-Mitteln für den dringenden Ausbau des Stadtbahnnetzes und der Bus- und Bahnhaltestellen seien keine "Wunschliste", sondern dringende Notwendigkeit. Er nannte als Beispiele noch einmal die Ertüchtigung der Ost-West-Achse der Stadtbahn-Ausbau, die eine riesige Kraftanstrengung für Stadt und KVB bedeute. Auch die weitere Förderung des Radverkehrs bleibe ein entscheidendes Kriterium. Das derzeit in Aufstellung befindliche Radverkehrskonzept Innenstadt sei ein Beleg dafür "wohin die Reise in Zukunft gehen" soll. Der erste geplante Radschnellweg zwischen Frechen und der Kölner Innenstadt dürfe außerdem nur der Anfang sein. Perspektivisch bedarf es eines regionalen Netzes solcher Schnellverbindungen für den Radverkehr. Für Köln werde es, vor dem Hintergrund der sehr begrenzten finanziellen Rahmenbedingungen, auch sehr stark darum gehen, dass "Wichtige von dem noch Wichtigerem zu unterscheiden".

Einen Rahmen hierfür liefert das bereits angesprochene Strategiepapier "Köln mobil 2025", dessen zehn Leitziele er an dieser Stelle dem Auditorium vorstellte. Das Papier und die darin enthaltenen Leitziele können Sie hier einsehen und herunterladen:

Strategiepapier "Köln mobil 2025"
PDF, 2750 kb

Wie geht es jetzt weiter?

Abschließend gab Herr Höing einen Ausblick auf die weiteren Schritte, die in Köln nun für ein neues, integriertes Gesamtverkehrskonzept getan werden sollen. Das Strategiepapier "Köln Mobil 2025" mit seinen Leitzielen müsse nun durch ein Stadtentwicklungskonzept Mobilität und Verkehr verdichtet und inhaltlich gefüllt werden.

In Kürze werde zunächst die Politik in Form einer Mitteilung über die angedachte Vorgehensweise bei der Konzepterstellung informiert werden. Es soll unter anderem eine Lenkungsgruppe eingerichtet werden, der unter anderem auch Professor Beckmann sowie Per Als, der Referent aus Kopenhagen, angehören sollen. Zudem wird es eine enge Einbindung und Beteiligung möglichst vieler verkehrsrelevanter Akteure in der Stadt geben. Über öffentliche und transparente Beteiligungsprozesse sollen sich auch möglichst viele Bürgerinnen und Bürgerinnen in den Prozess einbringen können. Alle inhaltlichen und organisatorischen Arbeitsschritte werden durch erfahrene, externe Experten, in enger Abstimmung mit der Lenkungsgruppe und unter Federführung der zuständigen städtischen Fachdienststelle durchgeführt werden.