Rautenstrauch-Joest-Museum zeigt kolonialzeitliche Europäerdarstellungen
Wie sehr die Perspektive unsere Wahrnehmung bestimmt, zeigt eine neue Sonderausstellung im Rautenstrauch-Joest-Museum (RJM): Unter dem provokanten Titel "Der Wilde schlägt zurück" zeigt das Haus vom 16. März bis 3. Juni 2018 erstmals Darstellungen von Europäern aus dem Blickwinkel der Kolonisierten. Die Ausstellung ermöglicht nicht nur überraschend neue Einsichten in die Kolonialgeschichte, sondern hinterfragt auch festgefahrene Selbst- und Fremdbilder.
Der Ausstellungstitel geht zurück auf das Buch "The Savage Hits Back or The White Man through Native Eyes", das in den 1930er-Jahren hohe Wellen schlug: Vor den Nationalsozialisten geflohen, publizierte Julius Lips, der Kölner Ethnologe und ehemalige Direktor des Rautenstrauch-Joest-Museums, sein antifaschistisches und antikoloniales Werk im amerikanischen Exil. Er zeigte darin, wie Künstler aus den Kolonien Europäer darstellten, und interpretierte ihre Skulpturen und Zeichnungen als Kritik und Spott am Besatzer. In seiner Arbeit zum "Gegenschlag" des vermeintlich "Wilden" und seinen polemischen Deutungen wird der Europäer selbst zum Barbaren.
Im Mittelpunkt dieser Ausstellung steht dieses Mal der Europäer, so wie er von außereuropäischen Künstlern gesehen und dargestellt wurde,
betont Prof. Dr. Klaus Schneider, Direktor des Rautenstrauch-Joest-Museums. Durch den Wechsel der Perspektive werde der Blick auf Europäer zurückgeworfen. Der Effekt sei auch heute noch verblüffend: sich in den Augen eines anderen zu sehen, kann starre Selbst- und Fremdbilder ins Wanken bringen. Insbesondere vor dem Hintergrund neu aufflammender Nationalismen und der gegenwärtigen Rassismus-Debatte gewinnt Julius Lips Versuch, die Perspektive auf "Fremde" umzukehren, an Aktualität.
Europäerdarstellungen
Die Ausstellung, für die Lips seit den 1920er Jahren Europäerdarstellungen sammelte, wurde von den Nationalsozialisten vereitelt. Bisher ist kaum bekannt, dass sich die Objekte und Fotografien im Depot des Rautenstrauch-Joest-Museums befinden. Erstmals werden nun diese Darstellungen von Kolonialbeamten, Soldaten, Händlern und Missionaren aus Afrika, Asien, Ozeanien und den Amerikas der Öffentlichkeit präsentiert. Neuere Forschungen zu den Werken ermöglichen es, die vielfältigen Geschichten dieser Objekte zu rekonstruieren. Sie zeigen die kreativen Strategien indigener Künstler in der Begegnung mit fremden Bildsprachen und den neuen Techniken und Waren, die die Europäer brachten. Zwischen Aneignung und Abgrenzung vom Fremden spiegeln die Objekte die gesellschaftlichen Umbrüche der Kolonialzeit. Während die indigenen Künstler bei Lips namenlos bleiben, lassen sich heute die Biografien zweier Künstler (Tommy McRae und Thomas Onajaje Odulate) rekonstruieren. In der Ausstellung werden sie als Zeitgenossen der europäischen Moderne präsentiert.
Der Provokateur Julius Lips
Julius Lips war Professor für Völkerkunde und Soziologie an der Universität Köln und seit 1928 Direktor des Rautenstrauch-Joest-Museums (ehemals Kölner Museum für Völkerkunde). Schon zu seinen Lebzeiten hat Lips polarisiert: Einerseits galt er als innovativer und charismatischer Wissenschaftler und Kurator, andererseits ist seine Zeit in Köln geprägt von Plagiatsvorwürfen und Gerichtsprozessen. Während der nationalsozialistischen Herrschaft musste er im Jahr 1934 – nicht zuletzt aufgrund seiner Mitgliedschaft in der SPD – Deutschland verlassen. Aller seiner Ämter und Besitztümer in der alten Heimat beraubt, veröffentlichte Lips im Exil in den USA "The Savage Hits Back or the White Man through Native Eyes" (1937). Das Buch war nicht nur eine Attacke gegen das rassistische Überlegenheitsdenken der "Kolonialherren" und Nationalsozialisten, sondern bezog sich zugleich auf seine persönliche Entrechtung, die er öffentlich anprangerte. Das Erscheinen des Buches löste einen Skandal aus: In Deutschland wurde es sofort verboten und im englischsprachigen Ausland als antifaschistisches Werk gefeiert. Bis heute ist die Person Julius Lips Gegenstand flammender wissenschaftshistorischer Debatten. Darüber sind sein ethnologisches Werk und sein Wirken als Kurator am RJM in Vergessenheit geraten. Beides wird im zweiten Teil der Ausstellung thematisiert. Dort können sich die Besucherinnen und Besucher auf die Spuren von Julius Lips und seiner Frau Eva begeben.
Begleitheft und Katalog
Zur Ausstellung gibt es ein Begleitheft in deutscher und englischer Sprache mit zahlreichen Texten und Abbildungen (ISBN 978-3-942810-40-1). Die Publikation kann direkt über den Verlag Edition Imorde bei Reimer bestellt oder im Museumsshop des Rautenstrauch-Joest-Museums erworben werden. 2018 erscheint zudem der Begleitband "The Savage Hits Back Revisited. Art and Alterity in the Colonial Encounter" mit wissenschaftlichen Aufsätzen und einem Bestandskatalog der Sammlung Lips.
Weitere Informationen
Kuratorinnen: Anna Brus (Universität Siegen), Lucia Halder, Clara Himmelheber (RJM)
Grafik und Design: MI Büro für Gestaltung, Marie-Helen Scheid
Kooperationspartner und Förderer: Die Sonderschau ist eine Kooperation mit der Universität Siegen und wird unterstützt durch die Kunststiftung NRW, den Landschaftsverband Rheinland, die Museumsgesellschaft RJM e.V., die Sal. Oppenheim Stiftung, sowie dem Haus der Kulturen der Welt (Berlin). Kulturpartner ist WDR3. Im Rahmen der Reihe "Kanon-Fragen" wird die Ausstellung in adaptierter Form im Herbst 2019 im Haus der Kulturen der Welt, Berlin, eröffnet.
Öffnungszeiten: Das RJM ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr geöffnet, Donnerstag von 10 bis 20 Uhr, am ersten Donnerstag im Monat von 10 bis 22 Uhr (außer an Feiertagen).
Eintritt: Einzelticket Sonderausstellung: vier Euro, ermäßigt drei Euro Kombiticket Dauer- und Sonderausstellung: neun Euro, ermäßigt sieben Euro Gruppenticket ab 15 Personen: ermäßigter Eintritt.
Presse- und Bildmaterial zur Ausstellung sowie das Rahmenprogramm stehen auf der Presseservice-Seite im Internet unter zum Herunterladen bereit.
Als Ansprechpartnerin für die Medien steht Marie-Luise Höfling, Museumsdienst, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, unter Telefon: 0221 / 221-22334 oder per E-Mail zur Verfügung.
Begleitprogramm zur Ausstellung "Der Wilde schlägt zurück"
Donnerstag, 5. April 2018, 19 Uhr, Filmvorführung
"Africa Paradis" – ein Filmabend in Kooperation mit dem Afrika Film Festival Köln. Frankreich/Benin 2006, Regie: Syvestre Amoussou, französisch mit englischen Untertiteln, 86 Minuten. Tragikkomische Auseinandersetzung mit den heutigen Flüchtlingsströmen von Afrika nach Europa in einer Zukunftsvision: Im Jahr 2040 ist nicht mehr Europa das gelobte Land, sondern die Vereinigten Staaten von Afrika. Während Europa einen wirtschaftlichen Niedergang erlitt, hat sich Afrika zu einem Kontinent des Wohlstands entwickelt. Viele Europäer versuchen daher, nach Afrika zu flüchten, um dort ein gutes Leben führen zu können.
Donnerstag, 3. Mai 2018, 18 Uhr, Vortrag
"Tanz im postkolonialen Raum: Chombotrope", Prof. Alexandra Karentzos (TU Darmstadt). Tanz war seit Jahrhunderten eine Form des Widerstands gegen den Kolonialismus. Das Jitta-Tanzkollektiv greift solche Strategien spielerisch-ironisch auf und wendet sie postkolonial. In seinen Performances stellt das Kollektiv die Frage nach kulturellen Aneignungen im Kontext der afrikanisch-europäischen Kolonialgeschichte neu und nimmt einen Perspektivwechsel vor: Wer nimmt sich etwas, von wem? Solche Zuordnungen geraten in der Tanzperformance "Chombotrope" in Bewegung und werden in einem rasanten Mix aus Mode, Tanz und Musik umgestülpt.
Donnerstag, 17. Mai 2018, Vortrag
Englischsprachiger Vortrag: "Reversing the Gaze: The Savages Hits Back!", Prof. Gerald McMaster (OCAD University, Toronto, Kanada) Through the use of humour, irony, metaphor, and politics, this lecture on otherness will feature the provocative works of Indigenous contemporary artists who use as their historic subject the European and Euro-American. Drawing on historic sources artists such as Kent Monkman, Annie Pootoogook, Skeena Reese, and Nicholas Galinin, and others, we will discover how the varied expressions are every bit as much about the artists as it is about their subject.
Es gibt regelmäßige öffentliche Führungen durch die Ausstellung: jeweils mittwochs am 21. März, 15. April, 18. April, 23. Mai um 15 Uhr vom Museumsdienst Köln und jeden Sonntag um 14 Uhr von der Museumsgesellschaft. Kuratorinnenführungen werden am Eröffnungs- und am Finissagewochenende angeboten, am 17. und 18. März um 16 Uhr sowie am 2. und 3. Juni um 16 Uhr.
Museumspädagogisches Angebot
Buchung von Führungen und Workshops: Museumsdienst Köln 0221 - 221 - 23468 (Führungen Schulgruppen), 0221 - 221 - 27380 (Führungen Erwachsene), 0221 - 221 - 24077 (Workshops)
Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt Cäcilienstraße 29-33 Köln-Innenstadt
Anfahrt und Parkmöglichkeiten
Haltestelle Neumarkt (zwei Minuten Fußweg) KVB-Linien 1, 3, 4, 7, 9, 16, 18 Buslinien 136, 146 Tiefgarage Cäcilienstraße direkt unter dem Museum, Einfahrt über die Cäcilienstraße.