Mit der Jasmin-Revolution in Tunesien nahm der arabische Frühling seinen Anfang und entwickelte im Laufe der vergangenen Monate in Nordafrika und auf der arabischen Halbinsel eine kaum erwartete Dynamik. Bis heute schaut die Welt voll Anerkennung auf die revolutionäre Leistung der mutigen Bürgerinnen und Bürger, die für mehr Demokratie und Transparenz in ihren Ländern bereit waren, ihr Leben zu riskieren. Bis heute nimmt die Weltöffentlichkeit aber auch voll Mitgefühl und Entsetzen Anteil an den blutigen Auseinandersetzungen für mehr Bürgerrechte in der Region.

Die Kommunen, die partnerschaftliche Beziehungen zu Städten in der nordafrikanischen/arabischen Region pflegen, stellen diese Entwicklungen vor neue Herausforderungen. Folgt man dem Leitgedanken, sich im Rahmen von Städtepartnerschaften gegenseitig Hilfe zu leisten, sind die deutschen Kommunen gefordert, ihre nordafrikanischen und arabischen Partnerstädte engagiert im Demokratisierungsprozess zu unterstützen. Die Stadt Köln, seit 1964 mit Tunis verbunden, hat diese Verantwortung angenommen, was im Beschluss des Rates der Stadt Köln vom 7. April 2011 zum Ausdruck kommt.

Beschluss des Rates der Stadt Köln vom 07. April 2011

Gründung des Netzwerks Deutscher Kommunen mit Partnerschaften in Nordafrika

© barbara frommann
Auftaktveranstaltung zur Gründung des Nordafrika-Netzwerkes

Im Frühjahr 2011 haben wir die Initiative ergriffen und gemeinsam mit dem Deutschen Städtetag zunächst Vertreterinnen und Vertreter von Kommunen mit partnerschaftlichen Beziehungen zu nordafrikanischen Städten zum Erfahrungs- und Gedankenaustausch eingeladen, um gemeinsam zu beraten, wie den Partnern konkrete Hilfe angeboten werden kann. Aus dieser ersten Initiative heraus wurde die Idee geboren, ein Nordafrika-Netzwerk für den regelmäßigen Austausch, angesiedelt beim Deutschen Städtetag, ins Leben zu rufen. Dieses Netzwerk wurde am 7. und 8. November 2011 im Kölner Rathaus gemeinsam vom Deutschen Städtetag und der "Servicestelle Kommunen für die Eine Welt" gegründet. Nach Impulsreferaten von Vertretern aus Tunesien und Ägypten zur aktuellen Lage in den jeweiligen Ländern wurden in Workshops konkrete Handlungsmöglichkeiten zur Unterstützung des Demokratisierungsprozesses und zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung sowie Fördermöglichkeiten zur Umsetzung erarbeitet und diskutiert.

Beim zweiten Netzwerktreffen am 18. und 19. April 2012 in Bonn referierten Vertreter aus Städten in Tunesien und Ägypten über die aktuelle Situation auf kommunaler Ebene und die vordringlichsten Probleme im Transformationsprozess. Im Anschluss daran stellten die Partnerstädte-Paare Köln-Tunis, Frankfurt-Kairo und Stuttgart-Menzel Bourghiba aktuelle Themen der Projektarbeit im Rahmen ihrer jeweiligen Städtepartnerschaft vor. Gemeinsam diskutierten und erarbeiteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Treffens Schwerpunkte in der Zusammenarbeit im Bereich kommunale Selbstverwaltung und Demokratisierung sowie erste Maßnahmen und Projektideen zu deren Umsetzung.

"Kommunale Selbstverwaltung und Dienstleistung in Tunis und Tunesien – notwendige Fundamente dezentraler demokratischer Gesellschaftsstrukturen am Beispiel Abfallwirtschaft"

Vom 23. bis 26. Januar 2012 besuchte im Rahmen des zu 80 Prozent von der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen ko-finanzierten Projektes "Kommunale Selbstverwaltung und Dienstleistung in Tunis und Tunesien - notwendige Fundamente dezentraler demokratischer Gesellschaftsstrukturen am Beispiel Abfallwirtschaft" eine siebenköpfige Delegation von Mitarbeitern der Stadtverwaltung Tunis sowie vier weiteren tunesischen Städten, die Mitglieder im tunesischen Städtetag (ANVT) sind, die Stadt Köln. Im Rahmen des zweistufigen Fachprogramms lernten sie zunächst den Verwaltungsaufbau der Stadt exemplarisch an den Themen Bürgerbeteiligung, Aufgaben, Rechte und Finanzierung einer Kommune sowie Umwelt und Straßenverkehrsplanung kennen. Bei einem Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern des Deutschen Städtetages (DStT) wurden den Gästen die kommunalen Strukturen in der Bundesrepublik Deutschland erläutert. Dabei wurden auch die Aufgaben des Deutschen Städtetages als Dachverband und Vertretung der Kommunen gegenüber den Ländern, dem Bund und der Europäischen Union aufgegriffen.

Auf dem Programm der tunesischen Delegation stand weiterhin der Besuch der Abfallwirtschaftsbetriebe der Stadt Köln, wo sie sich über deren Organisation, Finanzierung und Aufgaben informieren konnte. Im Zuge der Besichtigung der Kölner Müllverbrennungsanlage wurden der Abfallwirtschaftskreislauf sowie die Aspekte Müllvermeidung und der Umgang mit Gewerbeabfällen thematisiert.

Beim Gegenbesuch vom 26. bis 29. Februar 2012 konnten sich Vertreterinnen und Vertreter der Stadt Köln, der Abfallverwertungsgesellschaft sowie der Abfallwirtschaftsbetriebe ein Bild über die dortige aktuelle politische Lage machen und die Situation in der Abfallwirtschaft eruieren. Als konkrete Handlungsfelder für die Fortführung des Projektes wurden daraus folgend definiert:

  • Bildungs- und Qualifizierungsprojekte im Bereich Abfallentsorgung und -vermeidung vor allem für Kinder und Jugendliche
  • Technologietransfer zur Abfallwirtschaft zum Beispiel durch die Überlassung von gebrauchten Fahrzeugen der Kölner Abfallwirtschaftsbetriebe an die Stadt Tunis. 

Hierzu wird derzeit geprüft, ob eine Anschlussfinanzierung für das Projekt aus Fördergeldern von Bund und/oder Europäischer Union möglich ist. Insbesondere das Programm "Stärkung kommunaler Strukturen - Lernnetzwerk für Stadtentwicklung im Maghreb" (CoMun) der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) bietet sich für die Umsetzung eines Bildungs- und Qualifizierungsprojektes an.

Als weitere Kooperationsfelder zwischen Köln und Tunis mit dringendem Handlungsbedarf wurden die Bereiche

  • Straßenverkehr (Studie zum Aufbau eines Geoinformationssystems zur späteren Erweiterung um Bereiche wie Flächennutzungspläne oder Bevölkerungsdaten)
  • Reorganisation der Unterhaltung von Straßen
  • Reorganisation der Beleuchtung des öffentlichen Raumes
  • Modernisierung der Stadtplanung und -entwicklung

herausgestellt. Zudem sollen auch die Aktivitäten im Kulturbereich wie die Teilnahme an der Mittelmeerbiennale sowie im Schul- und Jugendaustausch wieder aufgenommen werden.