1936 bis 2009

Der fotografische Nachlass des Kölner Fotografen Kurt Wagner kam Ende 2012 als Schenkung in unser Bildarchiv. Es handelt sich um einen Bestand von rund 300 Schwarzweiß-Filmen mit 8.547 Aufnahmen, hauptsächlich im Kleinbild-Format 3,6 mal 2,4 Zentimeter. Die Fotografien entstanden zwischen 1970 und 2009. Kurt Wagner produzierte bei seinen Aufnahmen kaum Ausschuss, die Dichte seiner qualitativ guten Fotos ist sehr hoch.

Der gesamte Negativbestand ist in der Datenbank verzeichnet. Die Digitalisierung des Nachlasses steht jedoch noch aus, daher sind in der Datenbank noch keine Bilddateien, sondern nur Platzhalter für die analogen Bilder zu finden. Nach Anfrage und Terminabsprache kann der Bestand bei uns eingesehen werden.

Kurt Wagner verbrachte seine Kindheit in Neuss und in der Eifel. 1959 ging er für zwei Semester an die Werkkunst-Schule Saarbrücken um bei Oskar Holweck und Otto Steinert zu lernen. Daran schloss sich eine 20-jährige Tätigkeit als Werbefotograf an. Einige seiner ersten freien Fotografien entstanden bereits während seiner Ausbildung. Ab 1980 widmete er sich mit großer Intensität seinen freien Arbeiten.

Zwei Werkkommentare von Markus Mischkowski

Objekt trouvé - Die Transzendenz des Nichtigen

Die scheinbar nichtigen Dinge ins Recht setzen, ins rechte Licht setzen, in ihnen durch Abstraktion eine Poesie sichtbar machen, die neue Assoziationen und Wahrnehmungen erlaubt - so könnte man den künstlerischen Ansatz dieser fotografischen Arbeiten von Kurt Wagner umschreiben.

Es handelt sich bei den Objekten um die kleinen, die nicht beachteten Dinge des Alltags und der Natur, um aufgelesenes und liegengebliebenes, beiseitegelegtes und abgestoßenes: gefallene Blätter, weggeworfene Ösen, vertrocknete Blüten, gestrandete Steine.

Kurt Wagner arrangiert diese gefundenen Dinge neu in strengen Schwarzweiß-Kompositionen auf selbstgemalten, abstrakten Hintergründen, untersucht deren Struktur, ihre poetische Kraft im Zusammenspiel mit dem gesetzten Licht und dem Grad der fotografischen Abstraktion.

Doch bei aller Strenge und Konsequenz der Komposition liegt den Fotografien jeglicher akademischer Formalismus fern - im Gegenteil:

Die naive, unvoreingenommene Neugierde, die spielerische Lust am Sehen und Beobachten sind als Motiv des Künstlers stets den Werken eingeschrieben.

Die Bilder folgen keiner These, sie belegen nicht, illustrieren nicht, dokumentieren nicht, sondern "suchen" - im besten und umfassenden Sinne des Wortes -, um zu offenbaren, zu überschreiten: sie fordern vom Betrachter den genauen Blick, den meditativen Blick, der das Konkrete vergessen lässt.

Ein kleiner Schritt nur, eine kleine Verschiebung des Betrachtungswinkels und die fotografierten Objekte entfalten neue Bedeutungen, neue Assoziationen, transzendieren ihre Objekthaftigkeit, verlassen den Status des Konkreten und öffnen den Raum der Wahrnehmung.

Es mag paradox erscheinen: Gerade in der gesammelten Oberfläche der Objekte offenbart sich dem Betrachter deren transzendenter Wert. Gerade dadurch, dass sie auf nichts verweisen, für nichts anderes stehen, weder Symbol, noch Referenz, noch Metapher sind, erschließen sie jene Kraft der Poesie und Transzendenz, die allen - auch den scheinbar nichtigsten und kleinsten - irdischen Objekten und Geschöpfen innewohnt.

Baustellen - Die Poesie der ruhenden Arbeit

Seit den frühen 1960er Jahren galt das künstlerische fotografische Interesse von Kurt Wagner der Phänomenologie von Baustellen, Rohbauten und Bauruinen. Sein Ansatz war dabei jedoch kein dokumentarischer: Weder finden sich in seinen Serien und Zyklen chronologische Kontinuität (des Arbeitsprozesses, der Bauphase, der Fertigstellung), noch arbeitete er nach einem strengen seriellen Konzept. Ausgangspunkt für seine künstlerische Arbeit war stets das poetische Potenzial einer Baustelle - nicht jede Baustelle kam in Frage. Kurt Wagner fotografierte Baustellen stets sonntags oder nach Feierabend: wenn die Arbeit ruhte, wenn die Menschen ihr Tagwerk verlassen hatten, die Geräte, Werkzeuge und Baumaterialien liegengelassen hatten. Er scheute dabei weder Verbotenes noch Waghalsiges, um seine Motive zu finden.

Kurt Wagner erforschte das vermeintliche Chaos der Baustelle als eine Ordnung, die sich dem ungeübten, dem flüchtigen Betrachter verschließt. In der Mannigfaltigkeit der Materialien und Maschinen, der Werkzeuge und Werkstoffe, ihrer scheinbaren Hingeworfen- und Verlassenheit kündigten sich für ihn künstlerische Formen an, die zum Sehen erziehen, die erkennen lassen.

Diesen Ansatz von Sehen und Erkennen, verbunden mit einer radikalen Zweckfreiheit (alle Arbeiten entstanden ohne Auftrag und Auswertungskontext), verdankt Kurt Wagner seinem Lehrer Oskar Holweck, bei dem er Ende der 1950er Jahre die Grundlehre an der Werkkunstschule Saarbrücken absolvierte.

Darüber hinaus offenbaren Kurt Wagners Fotografien eindrücklich, wie der Baustelle - wie keinem anderen urbanen Ort - die Kunst der Assemblage innewohnt. Einer ephemeren Assemblage aus Werkstoffen und Werkzeugen, aus Materialien und Maschinen, sich täglich verändernd nach einem ausgeklügelten System, dessen einziger Zweck Ökonomie und Aufhebung ist:

© Rheinisches Bildarchiv Köln

Ökonomie der Zeit und der Arbeit, Aufhebung in einem Gebäude. In eine fest gefügte Form. Von der Zweckgebundenheit und Ökonomie befreit besaßen die Baustellen für Kurt Wagner eine ihr eigene strukturelle Poesie und Ordnung, die sich durch geduldige Beobachtung, durch sorgsames Zusammenspiel von Kameraposition, Ausschnitt und Licht (er arbeitete stets mit vorhandenem Licht und ohne Eingriffe in die vorgefundenen Bildinhalte der Motive) erschließen ließ; die Baustelle offenbarte sich ihm dadurch als eigenständiges Kunstwerk aus Material, Maschinen und Licht - als ästhetische Ordnung.

Kurt Wagner auf Kulturelles Erbe Köln